Wogen der Sehnsucht
lernen, sich zu benehmen.“ Die Sekretärin zog sich erleichtert zurück, und mit einem aalglatten Lächeln wandte er seine kalten Augen Tristan zu. „Vielleicht könntest du mir erklären, was so wichtig ist, dass du dich meinen Mitarbeitern gegenüber so unhöflich verhältst?“
Tristans Gesicht war eine harte Maske kaum verhohlener Wut. Seine Lippen bewegten sich nur wenig, als er sprach, so sehr biss er die Zähne zusammen.
„Du hast der Khazakismir-Armee einen weiteren Kredit bewilligt. Letzte Woche. Weitere vier Millionen Euro. Weißt du, wer diese Leute sind? Es sind Terroristen , Guerilleros, die für einen Massengenozid verantwortlich sind.“
Juan Carlos zuckte kaum merklich mit seinen eleganten Schultern. „Und ihre Generäle werden sehr wahrscheinlich im Kabinett der nächsten Regierung in Khazakismir sitzen. Hier geht es ums Geschäft, Tristan. Gefühle können wir uns nicht leisten.“
Das Wort traf Tristan wie ein unerwarteter Schlag und erinnerte ihn so plötzlich an Lily, dass ihm die Luft aus den Lungen wich.
Ich glaube aber, dass du ein Mann mit Gefühlen bist , hatte sie gesagt. Und ich glaube, dass das Gefühl, das dich am meisten beschäftigt, die Angst ist.
Sie irrt sich, dachte er verbittert, während er in das brutal gut aussehende Gesicht seines Vaters blickte; das Gesicht, das seinem so ähnelte. Er kannte die Angst. Angst war das Gefühl, mit dem er die ersten acht Jahre seines Lebens verbracht hatte, bis das Internat ihn davon erlöst hatte. Angst hatte jeden Tag überschattet, sodass er alle Abtönungen ihrer Schwärze kannte. Angst war, sich klein und hilflos zu fühlen und nicht alles kontrollieren zu können, und er hatte dafür gesorgt, das alles möglichst weit hinter sich zu lassen.
„Ich rede nicht von Gefühlen “, erklärte er eisig. „Ich rede von Moral .“
„Tristan, dies ist Spaniens älteste und renommierteste Bank, nicht irgendeine heruntergekommene, politisch korrekte Wohltätigkeitsorganisation“, erklärte Juan Carlos herablassend, und nicht zum ersten Mal fragte sich Tristan, wie viel sein Vater von seinem Doppelleben wusste. „Khazakismir macht gerade eine turbulente Phase in seiner Geschichte durch, aber es ist ein Gebiet mit zahlreichen Öl- und Gasvorkommen, und wenn die Lage sich wieder beruhigt hat, werden unsere Investitionen große Gewinne abwerfen. Ich habe die Pflicht, den Investoren den größtmöglichen Profit zu sichern.“
Tristan fluchte angewidert. „Und du glaubst, sie wären damit einverstanden, wenn sie wüssten, was für Gräueltaten mit ihrem Geld finanziert werden?“
„Wir müssen sie nicht mit diesem moralischen Dilemma oder mit komplizierten politischen Themen belasten. Ich sehe mich selbst als eine Vaterfigur für unsere Kunden“, fuhr Juan Carlos selbstgefällig fort. „Ich treffe meine Entscheidungen in ihrem Interesse. Diese Rolle ist nicht immer leicht, und es sind keine bequemen Entscheidungen, die ich treffen muss. Aber es ist meine Pflicht. Genauso wie du deiner Familie gegenüber in der Pflicht stehst.“
Das Wort „Vater“ aus dem Munde von Juan Carlos zu hören, ließ Tristan seine Hände zu Fäusten ballen und schickte Adrenalin durch seinen Körper. Er sah, wie immer, wenn er in Juan Carlos’ private Zitadelle eindringen musste, unwillkürlich zu dem Foto in dem silbernen Rahmen hinüber, das auf dem Tisch stand. Für einen oberflächlichen Betrachter zeigte es die Familie Romero de Losada Montalvo glücklich vereint auf den Stufen von El Paraiso, aber Tristan war überzeugt, dass es absichtlich dort stand, nicht um Besucher zu beeindrucken, sondern um Tristan an die wahre Natur und das Ausmaß seiner ‚Pflicht‘ zu erinnern.
„Als ob ich das vergessen könnte“, sagte Tristan tonlos, den Blick immer noch auf das Bild gerichtet.
Oberflächliche Betrachter würden vermutlich nicht bemerken, dass neben Tristan noch eine Person hätte stehen müssen, die nun aber aus dem Bild entfernt worden war. Sie würden vermutlich automatisch sofort Nico ansehen, Juan Carlos’ jüngsten Sohn, der im Vordergrund stand, und etwas über seinen offenen Gesichtsausdruck und den ansteckenden Charme seines Lächelns sagen.
Sie würden natürlich niemals vermuten, wie viel es seinen älteren Bruder gekostet hatte, es nicht verschwinden zu lassen.
„ Bueno . Wo wir gerade davon sprechen …“ Juan Carlos lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte Tristan neugierig an. „… es freut mich sehr, dass in letzter
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