Wogen der Sehnsucht
Irina ihren Mann und ihre beiden Familien bei einem schrecklichen Bombenanschlag in ihrem Dorf verloren hatte. Dimitri hatte alles versucht, um sie zu überreden, nach Barcelona zu kommen, bevor die Babys geboren wurden, aber Irina wollte den Ort nicht verlassen, der sie mit ihrem Mann verband.
„Immer müde. Ihr Blut nicht hat genug …“, er runzelte die Stirn, „… Metall?“
„Eisen“, sagte Lily. „Aber man kümmert sich gut um sie?“
Dimitri nickte hinter seiner Sonnenbrille. „Señor Romero sich kümmert darum. Er bezahlt beste Ärzte. Er sorgt für sie.“
Das ist so typisch für Tristan, dachte Lily, während sie langsam die Treppen vor dem Haus hinaufstieg. Pflichtbewusst bis zuletzt – selbst gegenüber der unbekannten Schwester seines Fahrers, Tausende Meilen entfernt in Russland. Sie hasste die gemeine kleine Stimme in ihr, der es nicht gefiel, dass Tristan sich um jemand anderen kümmerte. Aber sie hatte so wenig von ihm, so furchtbar, furchtbar wenig, dass sie es hasste, diese wenigen Augenblicke mit anderen teilen zu müssen.
Sie schloss die Haustür auf und ging in die Küche, um Wasser für Tee aufzusetzen. Vielleicht würde sie das beruhigen und nicht ständig an Dr. Alvarez’ Bemerkung nach der Routineuntersuchung heute denken lassen. Der Herzschlag des Babys ist ein bisschen zu schnell, hatte der Gynäkologe gesagt und dabei sehr sorgenvoll ausgesehen, auch wenn er beteuerte, es bestehe kein Grund zur Beunruhigung.
Wenn Tristan doch nur da gewesen wäre, um ihr beizustehen und ihr die Zweifel zu nehmen. Aber er war vor zwei Tagen erneut verreist, ohne ihr zu sagen, wohin, und hatte den Ultraschalltermin heute versäumt. Aber selbst wenn er da wäre, dachte Lily traurig, würde er ihre Sorgen dann wirklich teilen?
Sie nahm die fertige Tasse Tee und schlurfte langsam hinüber zum Schreibtisch, auf dem ihr Laptop stand, um ihrem Mann wenigstens die Bilder von der Ultraschallaufnahme zu mailen. Dann legte sie sich ins Bett und blickte für ein paar Sekunden sehnsüchtig auf das Telefon. Sie wollte so gerne mit ihm sprechen, ihm von der Untersuchung erzählen. Aber was erwartete sie? Dass er davon genauso beeindruckt sein würde, wie sie es gewesen war?
Frustriert löschte sie das Licht und rollte sich zusammen und spürte ihren Bauch an ihren Beinen.
Sie seufzte.
„Gute Nacht, Kleines“, sagte sie traurig. „Ich liebe dich.“
Sie erwachte von dem schrecklichen Schmerz, der ihren ganzen Körper umklammert hielt und sich anfühlte, als würden riesige, grausame Hände sich in ihr Fleisch graben und gnadenlos daran reißen. Für einen stummen, entsetzten Moment versuchte sie, Mauern um ihren Verstand zu errichten und auszublenden, was das bedeuten musste.
Aber es war, als wollte sie das Meer aufhalten. Es überspülte ihre Mauern und löschte alles Licht in ihrer Welt aus.
„Nein, nein, nein.“ Sie sagte es laut, und ihre Stimme wurde zu einem panischen Schrei, während sie sich aus dem Bett kämpfte und versuchte aufzustehen.
Doch ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie fiel mit der Decke in der Hand zu Boden. Die Decke rutschte vom Bett herunter und enthüllte blutrote Laken.
Das war also seine Strafe.
Tristan war so erschöpft, dass es schmerzte. Lily schlief jetzt in dem kalten, sterilen Krankenhausbett, und ihr schönes Gesicht war milchig blass von dem vielen Blut, das sie verloren hatte. Dennoch zwang er sich, weiter ihr Haar und ihre Wange zu streicheln. Als eine Geste des Trostes war sie völlig unzulänglich, aber es war alles, was er tun konnte.
Er hatte ihr versprochen, sie und das Baby zu beschützen, und er hatte versagt. Auf ganzer Linie. Er hatte ihr Sicherheit angeboten und gedacht, das sei nichts weiter als ein luxuriöses Heim. Ein Name.
Und am Ende hatte der Name gar nichts gezählt. Ein Titel und eine Blutlinie und alle Reichtümer der Romeros hatten das Baby nicht retten können, weil das nur Tristan gekonnt hätte.
Und er war nicht da gewesen.
Er war geflohen vor seinen eigenen Gefühlen, wie so oft zuvor. Hatte in der kleinen Krankenstation in Khazakismir gesessen, die auf seine Anweisung und mit den Geldern aus seinem Treuhandfonds nach dem Bombenangriff auf das Dorf neu eingerichtet und vergrößert worden war, und sich eingeredet, er habe nur altruistische Motive dafür. Dass er etwas von dem, was seine Familie über die Jahre denen genommen hatte, die es am meisten brauchten, wieder zurückgeben konnte, indem er es mit despotischen
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