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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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auswäscht, so wurde auch Julias Selbstbewusstsein allmählich, in einem fast unsichtbaren Prozess, stetig weiter untergraben. Es geschah nichts Spektakuläres, doch im Lauf der Zeit veränderte sich etwas und wurde in eine neue Richtung gedrängt. Immer öfter erwischte sie sich dabei, dass sie sich in die sichere Welt ihrer Notizen zurückzog. Auf den dünnen blauen Linien ihres Notizblocks versuchte sie angestrengt, alles zu analysieren. Zwar glaubte sie nach wie vor, dass Alice sie zumindest auf Kleinkindniveau verstand - hier und dort ein paar einzelne Wörter aber mit dem Sprechen ging es einfach nicht voran. Die Behörden saßen ihr im Nacken. Jeden Tag hinterließ Dr. Kletch eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. Es war immer das Gleiche. Sie helfen dem Kind nicht angemessen, Dr. Cates. Überlassen Sie die Kleine endlich uns.
    Als sie Alice heute zum Mittagsschlaf ins Bett gebracht hatte, war Julia noch bei ihr geblieben, hatte die seidigen schwarzen Haare und den schmalen Rücken gestreichelt und dabei gedacht: Wie kann ich dir nur helfen?
    Auf einmal brannten ihr die Augen, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, rollten ihr die Tränen über die Wangen.
    Für die Pressekonferenz musste sie im Bad erst einmal die Wimperntusche erneuern. Gerade war sie fertig, als draußen ein Auto vorfuhr. Auf halbem Weg die Treppe hinunter stieß sie mit Ellie zusammen.
    »Alles okay bei dir?«, fragte Ellie stirnrunzelnd.
    »Ja, alles bestens. Sie schläft.«
    »Peanut wartet im Auto. Ich bleib heute hier.«
    Julia nickte, nahm ihre Mappe und verließ das Haus.
    Auf den gut zwei Kilometern zur Polizeistation goss es in Strömen, und das Trommeln der Regentropfen auf Windschutzscheibe und Dach war so laut, dass eine Unterhaltung nahezu unmöglich war.
    Während Peanut den Wagen abstellte, spannte Julia rasch ihren Schirm auf und rannte zur Wache hinüber. Als sie ihre Jacke aufgehängt hatte und zum Podium ging, merkte sie es.
    Kein Mensch war da.
    Niemand war gekommen.
    Cal saß am Telefon und sah sie mitleidig an.
    Julia warf einen Blick auf die Uhr. Eigentlich hätte die Pressekonferenz vor fünf Minuten beginnen sollen. »Vielleicht ...«
    Die Tür wurde aufgerissen, und Peanut stürmte herein, in ihrer Polizeiregenjacke, das Gesicht triefnass. »Wo sind die denn alle?«
    »Es ist gar keiner aufgetaucht«, antwortete Cal.
    Peanuts rundes Gesicht schien einzufallen, ihre Augen wurden groß, erst mitleidig, dann resigniert. Sie ging zu Cal und stellte sich dicht neben ihn. Er nahm ihre Hand. »Das ist ja blöd.«
    »Ja, ganz blöd«, bestätigte Julia.
    Die nächste halbe Stunde warteten sie in bedrückender Stille und sprangen jedes Mai elektrisiert auf, wenn das Telefon klingelte. Um Viertel vor fünf ließ sich nicht mehr leugnen, dass es vorbei war.
    Julia stand auf. »Ich muss zurück, Peanut. Bestimmt wacht Alice bald auf.« Sie holte ihre Tasche und folgte Peanut zum Wagen.
    Draußen regnete es nicht mehr, aber der Himmel war grau und schwer. Genauso fühlte Julia sich auch. Natürlich war ihr bewusst, dass sie sich ein bisschen mit Peanut hätte unterhalten oder wenigstens ihre endlosen Fragen beantworten sollen, aber ihr war einfach nicht danach.
    Peanut bog in die Main Street ein. Nach einem kurzen »Aha!« parkte sie auf einem der schrägen Stellplätze vor dem Rain Drop Diner. »Ich hab Cal versprochen, ihm was zu essen zu holen. Dauert nur eine Minute.« Ehe Julia protestieren konnte, war sie schon weg.
    Sie stieg ebenfalls aus. Eine Tasse Kaffee wäre nicht schlecht gewesen, aber irgendwie konnte sie sich nicht aufraffen. Direkt auf der anderen Straßenseite begann der Sealth Park, in dem Alice damals aufgetaucht war. Der Ahornbaum, der inzwischen kahl war, streckte seine leeren Äste in den dunkel werdenden Himmel. Der Wald in der Ferne war in der Dämmerung nicht zu erkennen.
    Wie lange warst du da draußen?
    Plötzlich spürte sie jemanden neben sich, holte ihre Gedanken in die Gegenwart zurück und drehte sich um, in der Erwartung, Peanuts lächelndes Gesicht vor sich zu sehen.
    Aber es war Max, in einer schwarzen Lederjacke, Jeans und weißem T-Shirt. Sie hatte ihn wochenlang nicht mehr zu Gesicht bekommen, und zwar aus voller Absicht. Aber jetzt stand er vor ihr, sah sie an, nahm zu viel Platz in Anspruch und auch zu viel Luft zum Atmen.
    »Lange nicht gesehen.«
    »Ich hatte zu tun.«
    »Ich auch.«
    Sie standen da und starrten einander an.
    »Wie geht‘s Alice?«
    »Sie macht

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