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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Tannennadeln über ihren Köpfen ging. Lange bevor sie den Wind im Gesicht spürten, war sein Rauschen zu hören.
    Sie saßen im Kreis am Fuß einer Zeder, die so riesig war, dass sie ihren Stamm nicht hätten umspannen können, selbst wenn sie sich alle an den Händen gehalten hätten.
    »Wo sind wir eigentlich?«, fragte Azelle und streckte die Beine aus.
    Cal faltete seine Karte auf. »Soll ich mal raten? Vorbei an der Hall of Mosses im Naturpark. Nicht weit von Wonderland Falls, denke ich. Genauer kann ich es leider nicht sagen - ein großer Teil dieser Gegend ist nämlich nicht vermessen.«
    »Haben wir uns etwa verlaufen?«, wollte Azelle wissen.
    »Sie offenbar nicht«, antwortete Ellie mit Blick auf Alice und stand auf. »Gehen wir weiter.«
    So wanderten sie noch ein paar Stunden, kamen aber nur sehr langsam vorwärts. Dichtes Unterholz und Vorhänge aus herabhängendem Moos blockierten den Weg. Auf einer Lichtung unter vier Baumriesen schlugen sie ihr Nachtlager auf und bauten die orangefarbenen Igluzelte dicht um das Feuer herum.
    Während sie ihr Abendessen kochten, sprach kaum einer ein Wort. Bei Einbruch der Nacht waren die Geräusche des Waldes überwältigend, ein unablässiges Huschen und Springen und Krächzen. Lediglich Alice und ihr Wolf schienen sich wohlzufühlen. Hier in der grünen Ungewissheit bewegte sich Alice freier und wirkte irgendwie größer, was allen eine Vorstellung davon vermittelte, was aus ihr werden konnte, wenn sie sich in der Welt der Menschen erst einmal zurechtgefunden hatte.
    Lange nachdem alle anderen sich schon schlafen gelegt hatten, war Ellie noch wach. Sie saß am Ufer des Flusses, starrte in den schwarzen Wald und grübelte, wie Alice diesen Weg damals wohl ganz allein bewältigt hatte.
    Auf einmal hörte sie hinter sich einen Zweig knacken und drehte sich um.
    Es war Julia. Sie wirkte erschöpft und sehr müde. »Ist das hier der Treffpunkt für alle, die nicht schlafen können?«
    Ellie rutschte ein Stück, um auf dem dicken, moosbewachsenen Baumstamm Platz für ihre Schwester zu machen. Der Schwertfarn, der zu beiden Seiten wuchs, zitterte bei jeder ihrer Bewegungen.
    So saßen sie nebeneinander, während der Fluss an ihnen vorbeirauschte, in der Dunkelheit fast unsichtbar. Die Nachtluft roch üppig und grün. Über ihren Köpfen schimmerte die Milchstraße zwischen Baumwipfeln und Wolken hervor.
    »Wie geht es Alice?«, fragte Ellie. Dabei fiel ihr ein, dass sie die Kleine wahrscheinlich bald Brittany nennen mussten. Noch etwas, das sie nicht wahrhaben wollte.
    »Sie schläft tief und fest. Hier draußen ist sie absolut entspannt.«
    »Vermutlich ist es so etwas wie ihre Heimat. Ihr eigener Garten.«
    »Ob sie uns wohl tatsächlich irgendwohin führt ... oder einfach nur in der Gegend herumwandert?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich hoffe so, dass wir das Richtige tun.« Julias Stimme brach.
    Sie schwiegen, und beide zweifelten im Stillen an ihrer Entscheidung. Eigentlich wollte Ellie ein Gespräch über George Azelle vermeiden, aber hier draußen, wo es nur sie und ihre Schwester und den Nachthimmel gab, sah man die Dinge klarer. »Hast du bemerkt, wie George sie anschaut?« Sie fragte es ganz leise, falls er noch wach war und womöglich lauschte. Hoffentlich würde der Fluss ihre Stimmen übertönen.
    »Ja«, antwortete Julia. Nach einer Pause fuhr sie fort: »Er schaut sie an wie ein Mann, dem das Herz gebrochen wurde. Jedes Mal, wenn sie ihn ignoriert oder sich abwendet, zuckt er zusammen.«
    »Das macht mich total nervös. Was, wenn wir herauskriegen ...«
    »Ich weiß.« Julia lehnte sich an sie. »Was immer auch passiert, Ellie, ich hätte das Ganze ohne dich nie im Leben durchgestanden.«
    Ellie legte den Arm um ihre jüngere Schwester und zog sie an sich. »Ja, ich ohne dich genauso wenig.«
    Wieder knackte ein Zweig.
    Ellie fuhr herum.
    Diesmal war es wirklich der Vater des Mädchens, die Hände tief in den Taschen vergraben. »Ich konnte nicht schlafen«, erklärte er und kam langsam auf sie zu.
    Ellie musterte ihn. »Anscheinend kann das nur Alice.«
    Azelle starrte in den Wald. Leise, ohne die beiden Schwestern anzusehen, sagte er: »Ich habe Angst vor dem, was wir finden werden.«
    Wenn dieser Satz nicht von Herzen kam, hatte Azelle wahrlich einen Oscar verdient. Ellie schaute Julia an und erkannte die Sorge in ihren Augen. Also hatte sie das Gleiche wahrgenommen. »Ja«, antwortete sie schließlich und umfasste Julia fester. »Angst haben wir alle.«
    * *

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