Wohin das Herz uns trägt
seit jeher auf der Veranda stand, und hüllte sich darin ein. So setzte sie sich auf die Verandaschaukel und legte die Füße auf die Truhe. »Wo ist Max?«
Julia schüttelte den Kopf. »Er musste zu einem Notfall in der Klinik. Eigentlich wollte er bleiben ..., aber ich musste mal eine Weile allein sein. Alice schläft.«
Ellie machte Anstalten aufzustehen. »Soll ich ...«
»Nein. Bleib. Bitte.« Julia lächelte traurig. »Ich klinge schon wie Alice. Brittany, meine ich.«
»Für uns wird sie nie Brittany sein.«
»Nein.« Julia nippte an ihrem Tee.
»Was hast du jetzt vor?«
»Du meinst, ohne sie?« Julia starrte über den Garten hinaus. In der Dunkelheit konnte sie nicht viel weiter sehen als bis zum Fluss. Mondlicht spiegelte sich auf dem Wasser. »Wenn du wüsstest, wie viel ich schon darüber nachgedacht habe. Doch leider ist mir bislang keine Antwort eingefallen.« Ihre Stimme wurde leise und begann zu zittern. »Es ist, als würde ich Mom noch einmal sterben sehen.«
Sie setzte an weiterzusprechen, schwieg dann aber. »Tut mir leid. Manchmal ...« Sie stand auf und wandte sich ab. »Ich muss zu ihr«, sagte sie mit brechender Stimme und war verschwunden.
Ellie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie warf hastig die Decke beiseite und stand auf. Was würde es schon nützen, wenn sie hier alleine herumsaß und weinte?
Sie stapfte durch das feuchte Gras zum Fluss hinunter. Auf der anderen Seite der Wiese sah sie die Lichter von Cals Haus. Irgendwann solltest du mal an all die Leute denken› die dich lieben› Ellie , hatte Peanut gesagt. Ganz oben auf dieser Liste hatte schon immer Cal gestanden. In schweren Zeiten - ganz gleich, ob in ihren beiden Ehen, ihren katastrophalen Affären, beim Tod ihrer Eltern - war Cal immer ihr Fels in der Brandung gewesen.
Obwohl er wegen irgendetwas sauer auf sie war, war er dennoch der einzige Mann auf dem Planeten, der sie so sah, wie sie war, und sie trotzdem liebte. So einen Freund brauchte sie jetzt.
Im Handumdrehen war sie an seiner Tür und klopfte.
Und wartete.
Niemand kam.
Stirnrunzelnd sah sie sich um. Cals GTO war da, versteckt unter einer braunen Nylonhülle und ein paar heruntergefallenen Blättern.
Vorsichtig öffnete sie die Tür, streckte den Kopf hinein und rief: »Hallo!«
Immer noch keine Antwort, doch am Ende des Korridors sah sie Licht. Sie folgte ihm zu der geschlossenen Tür von Lisas Arbeitszimmer.
Auf einmal fragte sie sich, ob Lisa wohl zurückgekommen war, und bei dem Gedanken wurde ihr Stirnrunzeln noch tiefer. Nervosität breitete sich in ihrem Magen aus, machte sie panisch. Aber das war doch verrückt! Zögerlich klopfte sie an die Tür. »Hallo?«
»Ellie?«
Sie drückte die Tür auf und sah, dass Cal allein war. Er saß hinter einer Art Zeichentisch. Überall um ihn herum lagen Papiere verstreut.
Aus unerfindlichen Gründen verspürte Ellie eine große Erleichterung. »Wo sind die Mädchen?«
»Peanut hat sie zum Essen und ins Kino eingeladen, damit ich arbeiten kann.«
»Arbeiten?«
»Ich dachte, du bist heute Abend mit George Azelle unterwegs.«
»Ich brauche neue Freunde.« Sie seufzte. »Er war nicht der Richtige für mich. Was soll ich machen? Ein Plakat hochhalten?«
»Nicht der Richtige?« Cal lehnte sich an seinen Schreibtisch und musterte sie. »Gewöhnlich findest du das doch erst raus, wenn du verheiratet bist.«
»Sehr komisch. Aber im Ernst - was machst du hier?«
Sie ging zu ihm, und jetzt fielen ihr auch die Schmierflecken auf seinen Wangen und Händen auf. Als sie an ihm vorbeikam, spürte sie die Berührung seines Arms und fühlte sich gleich viel weniger allein und weniger wacklig auf den Beinen.
Vor Cal lag ein Stapel Papiere. Oben lag eine Skizze von einem jungen und einem Mädchen, rennend, sich an den Händen haltend. Über ihnen verdeckte ein saurierartiger Vogel mit seinen gigantischen Flügeln die Sonne.
Schnell schob er die Skizze beiseite; darunter lag eine farbige Zeichnung - fast ein Gemälde - von den gleichen beiden Kindern, die sich über eine leuchtende Kugel beugten. Darunter stand: Wie können wir uns verstecken, wenn sie jede Bewegung sehen?
Ellie war sprachlos. Die Bilder waren toll - intensive Farben, starke Linien, die Figuren gleichzeitig stilisiert und doch lebensecht. Die Angst in ihren Augen war unverkennbar.
»Du hast ja richtig Talent«, sagte sie und kam sich dabei ziemlich dumm vor. Aber sie war dermaßen überrascht! Hatte Cal etwa die ganze Zeit,
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