Wohin das Herz uns trägt
aus.
Die Schönheit des Orts machte sie sprachlos. Sie befand sich mitten auf einer riesigen Wiese, die an drei Seiten von gigantischen Nadelbäumen umringt war. An die vierte Seite grenzte der Spirit Lake. Nebel stieg wabernd vom Wasser auf und verlieh allem eine surreale, märchenhafte Aura. Ganz in der Nähe rief ein Käuzchen.
Sie fuhr erschreckt zusammen.
»Der berüchtigte Fleckenkauz«, sagte Max und trat neben sie.
Sie wich einen Schritt zur Seite. »Der Feind eines jeden Holzfällers.«
»Und der Liebling aller Umweltschützer. Kommen Sie.«
Er führte sie an der Garage vorbei zum Haus. Als sie näher kam, sah sie, wie schön es war, auf eine robuste bodenständige Art. Die Seiten waren mit Zedernholz verkleidet, die Regenrinnen ebenso liebevoll gestaltet wie die große umlaufende Veranda. Sogar die Stühle waren aus sauberem Fichtenholz selbst gezimmert. Solche Häuser sah man in Rain Valley sonst eher selten. Teuer und handwerklich einwandfrei, aber ohne Schnörkel. Dergleichen erwartete man eher in Aspen oder Jackson Hole.
Max öffnete die Haustür und ließ Julia den Vortritt. Als Erstes stieg ihr würziger Lorbeergeruch in die Nase; Max hatte wohl irgendwo eine Duftkerze brennen. Aus den Lautsprechern ertönte leise, verführerische Musik. Offenkundig sorgte er dafür, dass er jederzeit Frauenbesuch empfangen konnte.
Julia drückte ihre Mappe fester an sich und trat ein.
Ein wunderschöner gemauerter Kamin beherrschte die linke Wand. Aus den Fenstern sah man hinter der zweiflügligen Glastür die Veranda und im Anschluss den See. Die Küche war klein, aber perfekt eingerichtet, jedes Schränkchen glänzte im sanften Schein einer Lichterleiste, während das Esszimmer geräumig und auf zwei Seiten von Panoramafenstern zum See flankiert war. Eine große Tischplatte auf zwei Böcken beanspruchte den meisten Platz, sonderbarerweise stand jedoch nur ein einziger Stuhl davor. Im Wohnzimmer gab es nur eine Ledercouch - keine Sessel - und einen großen Plasmafernseher. Vor dem Kamin lag ein dicker Teppich aus Alpakawolle auf dem Dielenboden.
Neben dem Hintereingang türmte sich ein ziemliches Chaos von Seilen und Rollen, daneben lagen ein Eispickel und ein Rucksack.
»Kletterausrüstung«, stellte sie fest. Das war doch nun wirklich das absolute Klischee. »Hier liebt jemand die Gefahr, wie ich sehe. Ein Mann, der Extrembedingungen braucht, um sich lebendig zu fühlen.«
»Versuchen Sie bitte nicht, mich zu analysieren, Julia! Möchten Sie etwas trinken?« Er wandte sich ab, ging zum Kühlschrank, öffnete ihn und verkündete: »Ich habe alles, was Sie wollen.«
»Wie sieht es aus mit einem Glas Weißwein?«
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er mit zwei Gläsern zurückkam. Weißwein für sie, Scotch auf Eis für ihn.
Sie nahm ihr Glas entgegen und setzte sich in die Sofaecke, direkt neben die Armlehne. »Danke.«
Er lächelte. »Machen Sie doch kein so ängstliches Gesicht, Julia. Ich werde schon nicht über Sie herfallen.«
Einen Moment schlugen die tiefe, sanfte Stimme und die blauen Augen sie vollkommen in ihren Bann. Nur eine Sekunde, kaum spürbar, aber sie ärgerte sich trotzdem. Sie brauchte unbedingt wieder festen Boden unter den Füßen. »Lassen Sie mich noch mal raten, Dr. Cerrasin. Wenn ich in die Garage gehen würde, würde ich dort einen Porsche oder eine Corvette vorfinden.«
»Nein. Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen.«
»Im Obergeschoss steht ein großes Bett mit teuren Seidenlaken, vielleicht einer Decke aus Kunstpelz, und in der Nachttischschublade stapeln sich die Kondome, natürlich mit Noppen, den Damen zuliebe.«
Er runzelte die Stirn. Sie hatte deutlich das Gefühl, dass er mit ihr spielte. »Selbstverständlich ist es mir immer besonders wichtig, dass die Damen sich wohlfühlen.«
»Das glaube ich gern. Solange das Wohlgefühl von Ihrer Seite nicht irgendwelche echten Emotionen erfordert oder gar eine Verpflichtung voraussetzt. Glauben Sie mir, Max, ich kenne Männer wie Sie. So anziehend das Peter-Pan-Syndrom auf manche Frauen wirken mag - für mich hat es seinen Charme verloren.«
»Wer war er?«
»Wer?«
»Der Mann, der Sie so verletzt hat.«
Wieder war Julia überrascht über die Einfühlsamkeit seiner Frage. Noch erstaunlicher war allerdings, was das bei ihr auslöste. Sie hatte beinahe das Gefühl, dass er sie kannte.
Aber das stimmte garantiert nicht. Er fischte nur im Trüben, warf seine Netze aus, wie das Männer seines Typs so gut konnten.
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