Wohin das Herz uns trägt
Missbilligung zu entdecken. Julia hatte keine Ahnung, wie es war, wenn man sich grundsätzlich den falschen Männern an den Hals warf, wie es sich anfühlte, wenn man sich so verzweifelt nach Liebe sehnte, dass man bereit war, es mit jedem zu versuchen, der einen auch nur nett anlächelte. Aber was sie in den Augen ihrer Schwester sah, überraschte sie. Julia wirkte ..., nun ja, sie wirkte auf einmal sehr zerbrechlich, als würde sie dieses Gespräch über die Liebe mächtig durcheinanderbringen. »Alles klar?«
»Sicher.«
Doch Ellie erkannte in ihrem Gesicht, dass sie log, und zum ersten Mal begriff sie, dass auch ihre Schwester an der Liebe zerbrochen war. Womöglich nicht so oft wie Ellie und vielleicht auch nicht so öffentlich aber sie war verletzt worden. »Was ist mit ihm passiert? Mit Philip, meine ich. Ihr wart doch so lange zusammen. Ich dachte, ihr würdet heiraten.«
»Das dachte ich auch. Aber ich war so in ihn verliebt, dass ich die Warnzeichen nicht sehen wollte. Deshalb habe ich zu spät bemerkt, dass er den größten Teil unseres letzten gemeinsamen Jahres durch die Betten gezogen ist. Jetzt ist er mit einer Zahnhygienikerin verheiratet und lebt in Pasadena. Das Letzte, was ich von ihm gehört habe, war, dass er sie ebenfalls betrügt. Ich bin eine echt tolle Psychologin, was? Vollkommen blind für die Probleme in meiner eigenen Beziehung!«
»Klingt nach einem echten Arschloch.«
»Es wäre leichter für mich, wenn es so einfach wäre.«
»Tut mir leid.« Zum ersten Mal hatte Ellie das Gefühl, ihre Schwester zu verstehen. Vielleicht war sie klug und brillant, aber wenn es um Liebe ging, war das kein Schutz. Jedes Herz konnte gebrochen werden. »Von Max solltest du dich lieber fernhalten, weißt du.«
Julia seufzte. »Das weiß ich, glaub mir. Ein Typ wie er ...«
»Ja. Er kann Frauen wie dir sehr wehtun.«
»Frauen wie uns«, korrigierte Julia leise.
Dann spürte sie es also auch, diese neue Verbindung. »Ja«, stimmte Ellie zu. »Frauen wie uns.«
* * *
Am nächsten Morgen parkte Ellie gerade vor dem Kaffeekiosk Ancient Grounds, als ihr Funkgerät piepte. Statisches Rauschen drang aus den alten schwarzen Lautsprechern, dann erkannte sie Cals Stimme.
»Chief? Bist du da? Over.«
»Ja, ich bin da, Cal. Was gibt‘s?«
»Komm her, Ellie. Over.«
»Sally macht mir gerade einen Mokka. Ich bin in ...«
»Nein, Ellie, jetzt gleich. Over.«
Ellie blickte zu der Frau am Fenster des Kiosks empor. »Tut mir leid, Sally. Ein Notfall.« Dann legte sie den Gang ein und trat aufs Gaspedal. Zwei Häuserblocks später bog sie in die Gates Avenue ab und hätte fast einen Übertragungswagen gerammt.
Ungefähr ein Dutzend weiterer Wagen parkte kreuz und quer auf und neben der Straße. Weiße Satellitenschüsseln reckten sich in den grauen Himmel. Reportergrüppchen unter schwarzen Regenschirmen säumten den Gehweg. Sie war noch keine drei Schritte weit gekommen, als sich die ersten auf sie stürzten.
»... Kommentar zu dem Bericht...«
»... niemand sagt uns, wo ...«
»... der genaue Aufenthaltsort...«
Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge bis zur Tür der Polizeistation, riss sie auf, schlüpfte hinein, knallte die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Scheiße.«
»Und das ist noch längst nicht alles«, sagte Cal. »Die waren schon da draußen, als ich um acht zur Arbeit gekommen bin. Jetzt warten sie auf die neuesten Neuigkeiten, die du ihnen um neun zukommen lassen wirst.«
»Was denn für neueste Neuigkeiten?«
»Ich hab den Termin angesetzt, um sie hier rauszuscheuchen. Ich konnte nicht ans Telefon, weil sie ständig palavert haben.«
In diesem Moment kam Peanut mit einem Plastikbecher von der Größe eines Farbeimers um die Ecke. Inzwischen war sie wieder zu ihrer Grapefruitsaft-Diät zurückgekehrt. Unter ihrem Arm klemmte eine zusammengerollte Zeitung. »Setz dich lieber hin«, meinte sie.
Ellie sah zu Cal.
Der nickte und formte mit dem Mund die Worte: Tu es.
Also setzte sich Ellie hinter den Schreibtisch und blickte ihre Freunde nervös an. Was sie zu sagen hatten, konnte nichts Gutes sein.
Peanut warf die Zeitung auf den Schreibtisch. Die ganze obere Hälfte war ein Foto des Mädchens, mit wild funkelnden, wahnsinnigen Augen, die schwarzen, mit toten Blättern gespickten Haare in einer Art Heiligenschein vom Kopf abstehend. Verrückt und dreckig, wie eins von den Kindern aus Mad Max- Jenseits der Donnerkuppel . In der Verfasserzeile stand der
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