Wohin das Herz uns trägt
Mittagsschlaf erwachte. »Für so was hab ich jetzt echt keine Zeit, ich weiß nicht, wie lange Alice noch schläft.« Sie wandte sich zur Tür.
»Er hat ein Foto von Alice in der Rain Valley Gazette veröffentlicht.«
»In der Schlagzeile hat er sie als ›Wolfsmädchen‹ bezeichnet«, fügte Peanut, vernehmlich auf ihren Karotten kauend, hinzu.
Julia hielt inne. Auf einmal erinnerte sie sich wieder an Mort, von der Highschool ... und von dem Zusammenstoß im Krankenhaus. Er war der Mann gewesen, der sie auf dem Korridor umgerannt hatte! Natürlich. In der Tasche, die er hatte fallen lassen, war seine Kameraausrüstung gewesen. Deshalb war er auch nicht zu der Versammlung in der Kirche gekommen - er hatte die Zeit genutzt, um sich ins Krankenhaus zu schleichen. Langsam drehte sie sich um. »Hat er mich in dem Artikel auch erwähnt?«
Die beiden Frauen schüttelten den Kopf. »Die Stadt beschützt dich«, ergänzte Ellie. »Er weiß, dass du hier bist, aber niemand wird bestätigen, dass du Alice hilfst.«
»Ich wusste, dass es eine undichte Stelle geben würde. Das ist doch immer so. Aber wir sind aus dem Schneider, wenn ...« Peanut unterbrach sich.
Wieder tauschten sie und Ellie besorgte Blicke.
»Was? Da ist noch mehr?« Julia war entsetzt.
»Einige von den Reportern verlassen die Stadt, weil sie glauben, das Ganze war bloß ein Schwindel.«
Julia fluchte leise vor sich hin. Genau das konnten sie sich überhaupt nicht leisten. Wenn die Medien sich jetzt zurückzogen, würden sie vielleicht nie erfahren, wer Alice wirklich war. »Die neuen Fotos - die, die ich gestern gemacht habe könnten doch was nützen. Und bringt ein bisschen Information in Umlauf. Etwas Wissenschaftliches. Lasst jemanden in Uniform vor der Kamera über die Suche berichten. Mit reichlich statistischen Daten über vermisste Kinder. Jedes Wort muss offiziell klingen. Das müsste uns Zeit verschaffen.«
»Du musst Alice zum Reden bringen, Jules.«
»Ach tatsächlich?«, gab sie ironisch zurück. In früheren Zeiten hätte ihr Wort genügt, um die Medien zu überzeugen. Jetzt hatte es keinerlei Gewicht mehr.
»Soll ich die Traumfänger für dich besorgen?«, erbot sich Peanut freundlich.
Julia hasste es, dem Druck nachzugeben, aber ihr blieb keine andere Wahl. Sie durfte nicht zulassen, dass Mort ein Foto von ihr bekam. Also schleuderte sie ihre Tasche zurück aufs Sofa. »Danke, Pea. Das ist wirklich nett von dir.«
Kapitel 13
Eine Stunde später saßen Ellie und Peanut wieder im Streifenwagen, unterwegs in die Stadt.
»Sie muss unbedingt anfangen zu sprechen«, sagte Ellie leise. Unabhängig davon, wie viel Beweismaterial sie zusammentrugen, es lief immer auf das Gleiche hinaus.
»Julia tut ihr Bestes, aber ...«
»Es könnte eine Weile dauern, ich weiß. Und was, wenn Morts Foto jetzt alles kaputtmacht? Wenn die seriösen Medien zu dem Schluss kommen, dass wir nichts weiter sind als ein paar Hinterwäldler, die auch mal ihr Kaff im Rampenlicht sehen wollen, dann ist es vorbei.«
»Mal den Teufel nicht an die Wand, Ellie. Mein Benji sagt immer ...«
Das Funkgerät piepste. »Ellie? Bist du da?«
»Ich geh nicht dran«, sagte Ellie. »Es gibt zurzeit sowieso keine guten Neuigkeiten.«
»Sehr verantwortungsvoll. Wahrscheinlich ist es sowieso nur eine Massenkarambolage. Oder eine Geiselnahme.«
Wieder statisches Knistern. »Chief? Julia sagt, du bist im Auto. Wenn du nicht antwortest, dann erzähle ich allen, dass du in der achten Klasse Rick Springfield einen Brief geschrieben hast. Over.«
Ellie drückte den Knopf. »Zwing mich nicht, die Fotos von dir mit Dauerwelle in Umlauf zu bringen, Cal.«
»Ach, da bist du ja, Ellie, Gott sei Dank. Du musst sofort herkommen. Over.«
»Was ist denn los?«
»Die Irren sind gelandet. Ich schwöre es.«
Ellie fluchte. Dann trat sie aufs Gaspedal und stellte die Sirene an. Wenige Minuten später waren sie auf der Wache und stiegen aus.
Überall standen Leute herum, zwar nicht ganz so viele wie am Vortag, aber immer noch eine ganze Menge. Übertragungswagen verstopften die Straße vor dem Revier, und eine Menschenschlange reichte von der Tür bis hinunter auf den Gehweg. Es waren nicht die gleichen Leute wie sonst. Keine Kollegen von anderen Polizeistationen, keine Privatdetektive, keine Reporter und keine Eltern, die ihre Kinder suchten. Diese Leute sahen aus wie eingefleischte Fans der Rocky Horror Picture Show.
Sie huschten an ihnen vorbei, ignorierten die lauten Stimmen und
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