Wohin der Wind uns trägt
bebten. »Und er war das Letzte, was mir von Rick geblieben ist.«
Die ganze, so viele Monate aufgestaute Trauer und Verzweiflung brach aus ihr hervor. Phillip schlang seine starken Arme um sie, drückte sie fest an sich, streichelte sie und ließ sie weinen, bis ihre Tränen schließlich versiegten. Sie lehnte sich an ihn.
»Du hast in letzter Zeit ziemlich viel wegstecken müssen, Schneewittchen.« Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und sehnte sich danach, ihre Tränen wegzuküssen und ein Lächeln in ihr liebes Gesicht zu zaubern. Seit jenem ersten Kuss hatte er nie aufgehört, sie zu lieben. Aber er gab sich keinen Illusionen hin, dass seine Gefühle erwidert werden könnten. Jo hatte kein Blatt vor den Mund genommen und ihm von ihrer Liebe zu Simon erzählt. Er achtete sie und verstand, wie tief sie gekränkt worden war. Sie nur aus der Entfernung lieben zu dürfen, tat zwar weh, aber Freundschaft war besser als nichts.
»Ich bin eine Heulsuse und suhle mich im Selbstmitleid«, meinte Jo schließlich mit einem letzten Schniefen.
Phillip reichte ihr sein Taschentuch.
»Nase putzen!«, befahl er.
Jo gehorchte und gestattete es sich noch einen Moment, sich an seinen warmen Körper zu lehnen. Er war so liebevoll und großzügig und vermittelte ihr das Gefühl, die Last nicht allein schultern zu müssen. Schließlich richtete sie sich auf und machte sich los.
»Du bist ein guter Freund, Phillip. Ich habe Glück, dass es dich gibt. Vielen Dank«, stieß sie hervor. »Sam hatte dich auch sehr gern.«
Nach Sams Tod wechselten sich bei Jo gute und schlechte Wochen ab wie die schwarzen und weißen Felder auf einem Schachbrett. Doch Phillips Nähe gab ihr Sicherheit.
Eines Morgens hastete sie, viel zu spät und in Eile, ins Haus, um vor einem Termin noch zu duschen, und traf Nina zu ihrem Erstaunen vollständig angezogen unten im Wintergarten an. Offenbar strotzte sie vor Tatendrang. Das hatte Jo seit ihrer Abreise nach England nicht mehr bei ihr erlebt. Sie nahm sich eine Tasse Tee und ein Stück Toast, setzte sich, die warme Sonne im Rücken, aufs Fensterbrett und begann, rasch zu essen.
»Du bist früh auf, Mum. Hast du etwas Besonderes vor?«, fragte sie zwischen zwei Bissen und hoffte, dass ihre Mutter nicht wieder einmal ein wahnwitziges Projekt ausheckte.
»Eigentlich nicht, Liebes, aber ich hatte einfach keine Lust, lange zu schlafen«, erwiderte Nina fröhlich.
Sie spielte mit ihrem Teelöffel und mit dem dicken Goldarmband herum, das Charlie ihr vor einigen Jahren geschenkt hatte. Danach verschränkte sie entschlossen die Hände und sah ihre Tochter an.
»Findest du nicht, dass du übertreibst, mein Kind? Seit du aus England zurück bist, arbeitest du so hart. Ich kenne mich in den Ställen nicht sehr gut aus, aber … Nun, es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann …«
Jo starrte ihre Mutter entgeistert an. Der Tag hatte schlecht angefangen. Arctic Gold, der in drei Wochen bei einem Rennen in Perth antreten sollte, lahmte bei der Bahnarbeit. Außerdem musste sie einen Stallburschen hinauswerfen, und es blieben ihr nur noch zwanzig Minuten, um zu duschen, zu packen und ihr Flugzeug zu erwischen. Sie hatte einen Termin, auf den sie sich ganz und gar nicht freute. Und nun fing auch noch ihre Mutter an, sich eigenartig zu benehmen.
Beinahe hätte sie Nina das alles gesagt, aber nur beinahe. »Du hilfst mir doch, Mum«, erwiderte sie stattdessen. »Und außerdem musst du dich um Dad kümmern. Wie war das Abendessen gestern? Wie geht es Joan?«
Sie sah auf die Uhr. Ninas Verhalten irritierte sie, aber sie hatte keine Zeit, sich mit den Problemen ihrer Mutter zu beschäftigen.
»Das Abendessen war sehr aufschlussreich. Joan besucht zurzeit ihre Enkelkinder in Brisbane.« Nina hielt inne und sah ihre Tochter unverwandt an. »Ich habe dir nie gesagt, wie dankbar ich dir dafür bin, dass du seit dem Unfall deines Vaters den Rennstall leitest, mein Kind.«
Sie befingerte hektisch die dicke Goldkette, und ihre Augen wurden feucht.
»Es war so schwer für uns, seit Charlie … seit … aber ich … Findest du, dass ich manchmal die falschen Signale …?«
Jo zwang sich zur Ruhe, obwohl die Minuten unaufhaltsam verstrichen.
»Worum geht es, Mum?« Nina ließ ihr Armband den Arm hinuntergleiten, strich sich die Haare glatt und drängte die Tränen zurück.
»Ach, um nichts Besonderes, Liebling. Es war nur etwas, das Jack gestern Abend gesagt hat, aber es spielt eigentlich keine Rolle. Manchmal
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