Wohin die Liebe führt
Eine, die ich sehr gut gekannt hatte. Ihre Mutter.
Sie trug ein Kostüm und hatte den Mantel nachlässig über die Schulter geworfen. Ihr Haar war aufgebauscht, toupiert, wie sie es, glaube ich, nennen, der Lippenstift frisch auf ihrem jungen Mund. Das Kind, das beim Frühstück neben mir gesessen hatte, war wieder verschwunden. »Daddy!«
Das Eis in mir schmolz. Die Stimme gehörte noch einem Kind. »Ja, Dani?«
Als sie unten angekommen war, drehte sie sich vor mir. »Wie seh ich aus, Daddy?«
»Wie eine lebendige Puppe«, sagte ich und streckte die Arme nach ihr aus.
»Bitte nicht, Daddy!« rief sie schnell. »Du bringst meine Frisur in Unordnung.«
Mein Lächeln fror ein. Sie war noch ein Kind, wenn das alles war, was ihr Sorgen machte. Aber vielleicht war es das gar nicht. Genauso hatte sich Nora benommen, wenn ihr daran lag, ihre »Aufmachung«, wie sie es nannte, nicht zu verderben. Hatte meine Tochter schon gelernt, in den gleichen Begriffen zu denken wie Nora?
Dani schien mein Unbehagen zu spüren. »Sei nicht traurig, Daddy«, sagte sie mit der gleichen, eigenartig beruhigenden Stimme, die mir aufgefallen war, als Nora ins Zimmer kam. »Alles wird gut werden.«
Ich sah zu ihr nieder. »Davon bin ich überzeugt, Dani.«
»Ich weiß es bestimmt«, sagte sie mit merkwürdigem Nachdruck. »Manche Dinge müssen eben passieren, ehe ein Mensch erwachsen werden kann.«
Ich sah sie betroffen an. In diesem Augenblick trat die alte Dame in die Halle, gefolgt von Nora und Gordon.
»Sagen Sie Charles, er soll meinen Wagen nachfahren«, sagte Gordon, als er ihnen die Haustür öffnete.
»Um welche Zeit müssen wir vor Gericht erscheinen?« fragte Nora, als sie an ihm vorbeiging.
Er sah sie kritisch an. »Wir gehen heute nicht zum Gericht, wir bringen das Kind nur zurück in den Gewahrsam des Jugendamts.«
»Wie gut. Ich glaube, ich wäre heute einem Erscheinen vor Gericht nicht gewachsen.«
Gordon antwortete nicht, er nickte nur, während sie dem Wagen zu schritten. »Nach Ihnen, Colonel«, sagte er höflich.
Charles hielt den Schlag von Noras Jaguar auf, als ich herauskam. Ein faltiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Colonel Carey!«
»Charles!« Ich lächelte und gab ihm die Hand. »Wie ist’s Ihnen immer gegangen?«
»Danke, immer gut, Colonel.« Seine Stimme wurde warm.
»Trotz der Umstände ist’s ’ne Freude, Sie wiederzusehen, Colonel.«
»Schließen Sie die Tür, Charles!« sagte Nora aus dem Innern des Wagens.
Charles nickte und schloß die Tür. Er warf mir einen Blick zu, ehe er rasch um den Jaguar ging und sich hinter das Steuer setzte.
»Sind Sie mit einem Wagen gekommen, Colonel?« fragte Gordon. Ich deutete auf den kleinen gemieteten Corvair, einen Zwerg zwischen zwei Riesen, seinem schwarzen Cadillac und Noras grauem Jaguar.
»Dann sage ich meinem Chauffeur, er soll uns mit Ihrem Wagen nachfahren«, sagte Gordon. »Vielleicht brauchen Sie ihn, wenn wir alles soweit erledigt haben.«
Er gab seinem Chauffeur ein Zeichen mit der Hand, dann fuhren wir die lange Einfahrt hinunter. Der andere Wagen folgte uns. Der Gärtner öffnete das Tor. Draußen stand eine Gruppe von Reportern, aber sie eilten zu ihren Autos, als sie sahen, daß wir nicht anhielten. Gordon gab seinem Chauffeur hinter uns wieder ein Zeichen. Wir bogen rechts ab und fuhren an der Grace Cathedral vorbei durch die California Street. Wir griffen beide gleichzeitig nach dem Anzünder am Schaltbrett. Er lachte und machte eine höfliche Handbewegung. Ich steckte mir eine Zigarette an und gab ihm Feuer.
»Danke.« Er sah mich dabei nicht an. »Ich hoffe, Sie tragen mir nichts nach von unserer letzten Begegnung vor Gericht?«
Ich blickte zu ihm hin. Ein Bild fiel mir ein, das ich einmal gesehen hatte: die beiden Boxer Gene Tunney und Jack Dempsey bei einem Festessen. Tunney lächelte, aber Dempseys Gesicht war finster und voll Groll. Ich wußte jetzt, wie ihm, dem Verlierer, zumute gewesen war.
Gleichviel, welch lange Zeit seither vergangen ist - niemand wird gern an eine Niederlage erinnert. Ich war keine Ausnahme
- aber ich mußte lernen, mich damit abzufinden, wie jeder andere. »Sehen Sie nur zu, daß Sie den Fall meiner Tochter ebenso
glänzend vertreten dann will ich mich nicht beklagen.«
Er überhörte mein Ausweichen nicht, zog es aber vor, nicht davon Notiz zu nehmen. »Gut. Sie können sicher sein, daß ich mein Bestes tun werde.«
Ich wartete, bis wir in die Gough Street einbogen, dann sagte ich:
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