Wohin du auch fliehst - Thriller
wissen, dass ich nichts tun konnte, um ihm zu entkommen. Ich konnte weder wegrennen noch mich wehren, ich konnte nur aufgeben.
Und jetzt?
Ich war mit der Tür fertig, hatte aber noch immer ein ungutes Gefühl.
Ich musste wieder von vorne anfangen. Meine Füße waren eiskalt, ich hatte überall Gänsehaut. Ich hätte mir eine Jogginghose und Socken holen sollen. Und nach wie vor war es nicht richtig. Die Tür hätte genauso gut weit offen stehen und er davor warten können. So lange, bis ich einen Fehler machte.
Ich kontrollierte erneut, konzentrierte mich. Mein Atem ging schneller, das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich wurde einfach das Bild nicht los, wie er draußen vor der Tür stand und wartete, bis ich alles kontrolliert hatte und mich wieder entfernte, damit er die Gelegenheit nutzen konnte.
Das war schlecht, ganz schlecht. Mein Telefon lag in der Küche, Stuart war bei der Arbeit, außerdem hatte ich ihn seit jener SMS weder gesprochen noch gesehen … Ich durfte nicht von der Tür weggehen, ja kam noch nicht mal bis ins Schlafzimmer.
Nur noch einmal, sagte ich mir streng. Noch einmal, dann ist es okay. Noch einmal, dann bin ich in Sicherheit und kann von der Tür weggehen. Ich versuchte es mit tiefen Atemzügen, versuchte, richtig zu atmen, statt nur zu keuchen, versuchte den Atem anzuhalten und an Stuarts Stimme zu denken. Ich schaffte einen Kontrolldurchgang und hörte auf.
Langsam wurde ich ruhiger, meine Atmung wurde langsamer. Jetzt konnte ich ins Schlafzimmer zurückgehen, die Vorhänge schaute ich erst gar nicht an, sondern kroch direkt unter die Bettdecke. Mir drehte sich der Magen um, und ich zitterte vor Kälte. Auf meinem Wecker auf dem Nachtkästchen war es zwanzig nach sieben. Zwei Stunden hatte ich an der Tür verbracht.
Ich stand wieder auf, holte mir Socken und ein Kapuzenshirt, ging in die Küche und machte die Heizung an.
Ich nahm das Telefon und rief im Büro an. Seit ich dort arbeitete, hatte ich mich noch keinen Tag krankgemeldet, heute sollte eine Ausnahme sein. Unter keinen Umständen war ich in der Lage, das Haus zu verlassen.
Eine halbe Stunde lang konnte ich dem Drang, alles zu kon trollieren, widerstehen, dann beschloss ich, dass ich die Vorhän ge aufziehen musste, und alles begann von vorn. Zum Glück war ich gezwungen, um acht Uhr aufzuhören, weil ich die obligatorische Tasse Tee machen musste.
Ich setzte mich mit meiner Tasse aufs Sofa und nahm das Buch zur Hand, das ich gerade las. Es war ein Buch über Zwangsstörungen, das Stuart mir empfohlen hatte. In einem Kapitel wurde man aufgefordert, alle Zwänge und Regeln ihrer Bedeutung nach aufzulisten. Ich griff nach meinem Terminplaner, nahm ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand.
Ich brauchte lange und musste gründlich nachdenken, viel durchstreichen und immer wieder von vorne anfangen, doch am Ende sah meine Liste folgendermaßen aus:
Zwänge
Haustür kontrollieren
Fenster und Vorhänge kontrollieren
Wohnungstür kontrollieren
Küchenschublade kontrollieren
Vermeidungsverhalten
Rote Kleider
Polizei
Überfüllte Plätze
Regeln
Teezeiten
Einkaufen an geraden Tagen
Schritte zählen
An erster Stelle stand zweifellos die Haustür. Mir fiel ein, dass ich Stuart irgendwie die Verantwortung für die Haustür übertragen hatte, seit er eingezogen war. Ich fragte mich, ob ich mich langsam selbst aus diesem Sumpf ziehen konnte, indem ich die Last auch ein wenig auf seine Schultern verteilte. Aber war das nicht unfair?
Ich sah auf die Uhr – es war halb neun.
Um wie viel Uhr man ihn wohl aus dem Gefängnis entließ? War er schon entlassen worden? Wie sah er aus? Hatte er noch Geld? Wo würde er hingehen?
Ich schloss die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken.
Wie viel Zeit würde vergehen? Wie lange würde er brauchen, bis er mich gefunden hatte? Ich versuchte mir vorzustellen, wie er aus dem Gefängnis kam, zu irgendwem ging, zu einem Freund vielleicht, von denen er bestimmt viele hatte. Vielleicht würde er eine andere finden, ein anderes Mädchen. Vielleicht hatte er sich im Knast verändert. Vielleicht suchte er mich gar nicht mehr.
Ich belog mich selbst.
Er würde nach mir suchen, es war nur noch eine Frage der Zeit.
Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig ins Bad, mir war wieder schlecht. In mir war nichts mehr, nur noch Schmerz.
Dienstag, 24. Februar 2004
Nach dem Einbruch änderte sich viel für mich. Ich fühlte mich nicht mehr so sicher wie vorher, auch nicht, wenn Lee bei mir war.
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