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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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Generatoren antike Statuen. Berührend eine weibliche Figur, die »Musa Polimnia«. Sie sitzt, das Kinn auf die Hand gestützt, blickt in eine imaginäre Landschaft; sie ist dieser Landschaft ganz zugehörig, ist vollkommen bei sich. Die nordischen Berge tauchen vor mir auf, die schlaflose Landschaft, die Gedichtzeilen Rilkes, die in einem Brief vom 8. Juni 1926 an Marina Zwetajewa stehen und ihr gewidmet sind:
         … Wir in das Kreisen bezogen
    füllten zum Ganzen uns an wie die Scheibe des Monds. 
    Auch in abnehmender Frist, auch in den Wochen der Wendung
    niemand verhülfe uns je wieder zum Vollsein, als der
    einsame eigene Gang über der schlaflosen Landschaft.
     
    Auf dem Rückweg noch einmal der Anblick des Einzugs des heiligen Ignatius von Loyola in den Himmel in der Jesuitenkirche an der Piazza Sant'Ignazio. Eine Gruppe Amerikaner geht im Mittelgang des Schiffs an mir vorbei. Dicke, ordinär wirkende ältere Frauen mit Shorts und Adidas-Schuhen, Männer mit vorstehenden Bäuchen und geschmacklosen Nickis, auf denen Werbung prangt. Lautes Reden, sie streben nach vorn, legen ihre Rucksäcke und Taschen auf den ersten zwei Bänken ab, und – erstaunt sehe ich – sie formieren sich zu einem Chor. Die Shorts, die Werbeslogans auf den Nickis – ein obszöner Anblick. Dann ist Stille. Das Einsatzzeichen des Dirigenten. Ich schließe die Augen. Bereits mit den ersten Tönen verwandeln sich vor meinem inneren Auge die Sänger in Engel; unglaublich rein und schön ist ihr Gesang; mir kommen sofort die Tränen. Sie proben fast zwei Stunden. Ich bleibe die ganze Zeit.
    Am Abend besuche ich ihr Konzert. Die Frauen tragen lange dunkle Gewänder, die Männer schwarze Anzüge. Die Kirche ist fast bis auf den letzten Platz ge
füllt. Die Schnüre der Geschenkverpackung sind gelöst.
     
    2. September
    Die Sätze laufen, eine Wohnung aus Gedanken.
     
    Gewitter die Nacht. Am Morgen Regengüsse.
     
    Ich schreibe im Zimmer mit dem Blick auf das Grün des Innenhofes, sitze an dem winzigen Ausziehtisch, als Fußbank die Plasteschüssel.
     
    5. September
    Habe elf Tage ohne Pause geschrieben. Wieder ein Tief. Sie haben ganz müde Augen, Sie müssen Urlaub machen, meint Baschal. Recht hat er. Kurzentschlossen suche ich in der Via Sistina ein Reisebüro auf, entscheide mich für das Meer, für den Ort Sperlonga im Süden, Richtung Neapel, zwischen Terracina und Gaeta gelegen. Als ich Ursula Bongaerts von meinem Entschluß berichte, sagt sie, ich bringe Sie am Samstag hin und bleibe auch einen Tag.
     
    Der Berg von Leserpost; ich kann unmöglich alle Briefe beantworten. Mein schlechtes Gewissen. Denke an Erwin Strittmatter, der jeden Brief beantwortet. Aber er hat seine Eva.
     
    6. September
    Anruf der Darmstädter Akademie. Man möchte von mir einen Vortrag über Geschichte auf der Jahresta
gung im Oktober. Das sind kaum sechs Wochen, die ich zur Ausarbeitung hätte. Ich fühle mich dazu nicht imstande, lehne ab. Der Herr, dessen Namen ich nicht verstanden habe, legt, wie mir scheint, verwundert, fast beleidigt, auf.
    Gestern ein Anruf von Peter Härtling. Man wolle mich in die Jury des Feuchtwanger-Preises in der Akademie berufen. Da konnte ich mein Nein überzeugender vortragen. Erzählte ihm dann, wie nah mir sein Hölderlin-Buch damals beim Erscheinen gewesen sei.
     
    16. September
    Seit vier Tagen in Sperlonga. In einem Hotel direkt am Strand. Vom Bett aus kann ich aufs Meer sehen. Das Geräusch der herannahenden, sich überschlagenden Wellen; tief und traumlos schlafe ich. Schwimme mehrmals am Tag. Mache barfüßig lange Wanderungen am Strand. Kilometerweit auf beiden Seiten des Ortes saubere weiße Sandstrände.
    Alle Tage Nichtstun. Ich notiere keine einzige Idee, die mir zum Lappland-Buch kommt. Leichtfertig sage ich mir, sie muß ein zweites Mal kommen, dann halte ich sie fest. Kommt sie nicht, taugt sie nichts.
    Ich genieße das Alleinsein. Auch beim Essen. Eine Frau allein im Restaurant ist in Italien nicht sehr üblich, aber es wird einem – im Gegensatz zur ehemaligen Sowjetunion, zu Moskau etwa – niemals das Platznehmen verwehrt, und man wird mit gleicher Freundlichkeit wie Paare oder Familien bedient. Besonders schön das Ristorante Torre di Truglia oben auf dem Berg mit dem Blick auf die Festung. In der Ferne der
Monte Circeo, das sagenumwobene Eiland der Zauberin Kirke. Den griechischen Helden Odysseus soll es auf seiner Heimfahrt hierher verschlagen haben. Seine Gefährten wurden in

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