Wohin mit mir
Kunststoff oder aus Kunstmarmor gegossen. Manche Anpassungen an
die Originale arbeitete man erst in Gips, um noch Veränderungen vornehmen zu können. Eine unendlich mühevolle Arbeit.
Meine Augen wandern die Flächen ab. Die originalen 2000 Jahre alten Marmorstücke, die nachgeformten. Alles scheint zu einer Einheit verschmolzen, ich kann keinen Unterschied erkennen. (Vielleicht wäre ein Fernglas nützlich.)
Die Skylla-Gruppe. Fast vier Meter hoch, fast drei breit und zweieinhalb Meter tief. Das Abenteuer des Odysseus und seiner Gefährten bei der Fahrt durch die Meerenge von Messina wird erzählt. Der griechischen Sage nach lebt auf der einen Seite des Felsens Charybdis, ein gestaltloses Meeresungeheuer, das dreimal am Tag das Meerwasser einsaugt, um es brüllend wieder auszustoßen. Schiffe, die in seinen Sog kommen, sind verloren. Vom Felsen gegenüber aus wütet Skylla, halb Tier, halb Mensch. Ihr Oberkörper ist der einer schönen jungen Frau, ihr Unterleib aber besteht aus sechs reißenden Hunden. Der Sage nach vergiftete die eifersüchtige Kirke – wie Skylla war sie in Glaukos verliebt – das Wasser, in dem Skylla badete, und ihr Unterleib verwandelte sich in diese Schreckgestalten. Um das ihr Angetane zu rächen, verschlingt sie alles, was in ihre Nähe kommt.
Der dramatische Augenblick, den die antiken Meister für ihre Darstellung wählten. Drohend ist das riesige junge Weib neben dem Heck des Bootes zu sehen. Über ihrem Kopf hält sie in der linken Hand triumphierend das aus der Halterung gerissene Backbordsteuer. Mehrere der Gefährten des Odysseus hat sie bereits
über Bord geworfen, man sieht, wie die aus ihrem Unterleib wie Kraken herauswachsenden Hunde sie zerfleischen. Mit ihrer rechten Hand packt Skylla gerade den letzten Gefährten von Odysseus am Haarschopf, um ihn wie die anderen ins Meer zu schleudern und zu vernichten. Odysseus steht als einziger noch aufrecht auf dem Schiff. Er hat seine Freunde verloren, sein Boot ist steuerlos. Er sieht die tödliche Gefahr, sein Blick ist zu Skylla am Bug des Bootes gewandt. Aber das Heck des Schiffes, dort, wo der Mastbaum ist und die Ruderer saßen, ist schon in rasender Fahrt an dem Ungeheuer vorbeigeglitten. Odysseus wird die Passage zwischen Skylla und Charybdis lebend überstehen.
1996 wurde diese Gruppe erstmals in einer großen Odysseus-Ausstellung in Rom gezeigt. Die zweite, die Polyphem-Gruppe, ist erst in diesem Jahr fertig geworden.
Sie erzählt von der Gefangenschaft des Odysseus in der Höhle des einäugigen Kyklopen. Mehrere seiner Gefährten hat Polyphem bereits verschlungen. Der Grieche kann sich gegen die körperliche Übermacht des Riesen nur mit seinem Intellekt zur Wehr setzen. Um freizukommen, muß er ihn überlisten. Er beschließt, ihn mit Wein trunken zu machen, ihn dann mit einem in der Höhle herumliegenden Ölbaumstamm, den er anzuspitzen und im Feuer zu glühen befiehlt, zu blenden.
Das Kunstwerk zeigt den Augenblick, da der Einäugige in seiner Trunkenheit eingeschlafen ist. Entspannt liegt die riesige Gestalt da, das Weingefäß ist ihm aus
der Hand geglitten, der Arm hängt schlaff herab, der Kopf ist zurückgesunken. Zwei von Odysseus Gefährten tragen unter Aufbietung aller Kräfte den angespitzten Pfahl heran. Ein dritter, den Weinschlauch noch in der Hand, sieht besorgt nach Polyphem, ob sein Schlaf auch keine Täuschung sei. Odysseus selbst ist dabei, die Tat auszuführen, das heißt, die Spitze des von den Gefährten gehaltenen, im Feuer geglühten Ölbaumstammes in das Auge des Kyklopen zu lenken.
Rückkehr aus der antiken in die gegenwärtige Welt. Ich esse in der Torre di Truglia zu Abend. Eine junge Frau bedient heute. Antonio ist in der Küche. Als es leerer wird, setzt er sich zu mir. Fragt nach dem Tag. Wird lebhaft. Erzählt. Bis 1957 habe nur eine Stichstraße von Fondi aus nach hier geführt, der Verkehr sei von Terracina nach Fondi und durch die Berge von Itri nach Formia gegangen, verkehrsmäßig habe der Ort im toten Winkel gelegen, obgleich einst die Via Flacca, die alte römische Straße, hier entlanggegangen sei. Allerdings nur als ein durch Saumtiere und Sänftenträger begehbarer Weg. Mit dem Beschluß 1957, die Küstenstraße von Terracina nach Gaeta über Sperlonga zu führen, sei man wieder dem Lauf der römischen Via Flacca gefolgt und habe das Fischerdorf an die Hauptverkehrsstraße Rom – Neapel angebunden.
Und da sei dieser mit dem Bau der neuen Straße beauftragte Enrico
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