Wohin mit mir
das vergan
gene? Sein Tausch der Zeiten, wenn er ein Foto der Rückenansicht eines auf den Corso blickenden Künstlers – der er selbst ist – auf die Fenstertür mit den geschlossenen Läden projiziert und damit auf Tischbeins Aquarell »Goethe am Fenster seiner römischen Wohnung« anspielt. Ganz anders der Fotograf Martin Zeller. Seine Farbaufnahmen von urbanen römischen Durchgangsorten, von Brücken, Tunneln und Korridoren, alle in der Nacht gemacht. Stundenlange Belichtung. Die fotografierten Orte haben sich durch das künstliche Licht aufgelöst; sind als neue Räume mit faszinierenden Farbkontrasten wiedererstanden.
Mimmo Catania und Martin Zeller sind heute angekommen, wir haben viel gelacht beim Austausch unserer Stipendiaten-Erfahrungen. Am Abend wird der deutsche Botschafter Fritjof von Nordenskjöld Staatsminister Naumann zu Ehren ein Konzert in den Räumen der Botschaft geben.
22. September. Mitternacht
Das Konzert. Wir drei Stipendiaten saßen in der letzten Reihe. In der DDR mußte man die Funktionäre hofieren, jetzt – ich beobachte es – sind es die Geldgeber, die Sponsoren, die umspielt werden. Wie auf einem Schachbrett bewegen sich die Figuren. Die Leiterin der Casa di Goethe vertritt ihre Sache zielsicher und mit großem Charme.
Der Botschafter hat außer seinem Namen nichts Nordisches. Er spricht lange mit einem schwerleibigen, ganz in Schwarz gekleideten kahlköpfigen Mann. Sein
auffällig blasses, leicht gedunsenes Gesicht. Es kommt mir bekannt vor. Wer ist er?
Wer? Und plötzlich holt das Gedächtnis ein Bild aus der Tiefe. Dieser Mann, dreißig Jahre jünger, bei einer Probe zu der Oper »Der junge Lord«, zusammen mit Ingeborg Bachmann. Es ist der Komponist Hans Werner Henze. Vor meinen Augen erscheint die Insel Ischia im Süden Italiens, wo Henze 1953 lebte. Ich sehe ihn mit der Bachmann auf dem Flachdach des Sarazenenhauses, das er von einer Bauernfamilie gemietet hat. Es ist der 9. August. Der Tag der Ankunft von Ingeborg Bachmann auf Ischia. An diesem Abend findet, so hat Henze sich erinnert, eine Schiffsprozession auf dem Golf von Forio statt, alles war voller gelben, goldenen und roten Fackelscheins. Und drüben in Forio brach eines von den napolitanischen Feuerwerken los. Auf dem Dach des Hauses sitzend, in den Bäumen der Gesang der Zikaden, verfolgen die beiden das Geschehen; an diesem ersten Abend sei, so Henze, der Satz von Ingeborg Bachmann gefallen: Einmal muß das Fest ja doch kommen!
Der Beginn der Freundschaft. Ein wunderbares schönes reines Leben, wo Eros und Intellekt … zusammengehen, hat Hans Werner Henze die Zeit mit Ingeborg Bachmann genannt.
Sie bleibt auf Ischia. Mietet ganz in Henzes Nähe ein kleines Haus, die Casa Elvira Castaldi in San Francesco bei Forio mit dem Blick zum schönen Monte Epomeo. Als der Freund ein Jahr später nach Neapel umzieht, besucht sie ihn in seinem Haus auf dem Vomero Alto unterhalb des Klosters Camaldoli. Den Winter
1954/55, einen der kältesten Winter des 20. Jahrhunderts, verbringt sie in Neapel. Nach Henzes nochmaligem Umzug lebt sie von Februar bis August 1956 in seiner Wohnung in der Villa Rotonda an der Piazzetta Nunziatella in Neapel.
Der frühen Zeit in Italien verdanke sie überhaupt alles, heißt es in einem Brief vom Juli 1953. In den ersten Jahren habe sie in Italien das Vertrauen in ihre fünf Sinne gelernt, sei getragen gewesen vom Enthusiasmus für dieses neue Leben, für Schauen und Offenheit .
Rückblickend spricht Hans Werner Henze in einem Interview von 1986 davon, daß Ingeborg Bachmann und er sich damals in Neapel entschlossen hätten, zusammenzuleben, sozusagen eine Familie zu gründen . Wäre diese Lebensgemeinschaft nicht nur für Henze gesellschaftlich ein Schutz gewesen, sondern auch, wenngleich gewiß fragil, ein geschützter Raum für sie? Die Vision einer auf Freundschaft basierenden Lebens- und Arbeitspartnerschaft.
Hätte ihr Weg durch die Höllenkreise des ersten, zweiten und dritten Mannes einen anderen Verlauf genommen als die unausweichliche Krankheit zum Tode ? Wären ihre nie verwundenen, tiefen Verletzungen nach der Trennung von Max Frisch, ihr physischer und psychischer Zusammenbruch und – vermutlich – in deren Folge die jahrelangen Schreibkrisen aufzufangen gewesen?
Ihre gegenseitige künstlerische Befruchtung. Ingeborg Bachmanns Gleichgültigkeit gegenüber der Oper schlägt durch die Begegnung mit dem Komponisten in
ein besessenes Interesse für diese Kunstform um. Sie
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