Wohin mit mir
schreibt Libretti für ihn, unter anderem für die von Visconti angeregte Oper nach Kleists »Prinz von Homburg«. Und für den »Jungen Lord«. Hans Werner Henze vertont Gedichte von ihr, bereits 1957 kommen die »Nachtstücke und Arien« beim Donaueschinger Musikfestival zur Uraufführung. Er schreibt die Musik zu ihrem Hörspiel »Die Zikaden«. Später komponiert er die »Die Lieder von einer Insel«. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen der beiden fast Gleichaltrigen; ein produktives Miteinander ohne ein In-Besitz-nehmen.
Ich sehe die beiden in der Mailänder Scala bei der Generalprobe von Luchino Viscontis »Traviata«- Inszenierung mit Maria Callas in der Titelrolle. Es ist der Januar 1956. Sehe sie im Oktober 1958 in London in Covent Garden bei der Uraufführung von Henzes Ballett »Undine«. Sie hat sich, so Henze, in ein Meermädchen verwandelt …, Gewand und Haartracht waren mit Schmuck und Meertang durchflochten und durchflutet. Sehe sie in Berlin zur Premiere der Oper »König Hirsch«. Und, 1965, ebenfalls in Berlin, bei den Proben zum »Jungen Lord«.
Als rettende Tätigkeit bezeichnet Henze ihre gemeinsame Arbeit an diesem Werk. Es war unser beider Versuch, über Erlittenes zu lachen.
Mein Blick in das blasse Gesicht. Dreiundsiebzig Jahre muß Hans Werner Henze jetzt sein. Inzwischen lebt er seit über fünfunddreißig Jahren mit seinem Gefährten Fausto Moroni zusammen, den er 1964 in der Villa Borgognona in Rom kennengelernt hat. Er wohnt nicht
mehr in Neapel, sondern seit langem südöstlich von Rom in den Albaner Bergen, inmitten der castelli romani . Noch heute abend, denke ich, wird er in die Stille seines Anwesens »La Leprara« mit den weitläufigen Gärten, den Olivenhainen und Weinbergen zurückkehren; in der Nähe liegt der Ort Nemi und der Lago di Nemi, ein See in einem erloschenen Krater, an dessen Ufer in antiken Zeiten das Sanktuarium der Göttin Diana war.
Seit Ingeborg Bachmanns schrecklichem Feuertod in Rom ist ein Vierteljahrhundert vergangen. Manchmal sehe ich dich / Noch unversehrt, schreibt Marie Luise Kaschnitz in ihrem der Dichterin gewidmeten Gedicht »Via Bocca di Leone«. Ich versuche, mir Ingeborg Bachmann – auch sie wäre jetzt dreiundsiebzig – vorzustellen, versuche, sie neben Hans Werner Henze zu sehen; vergeblich, weder das eine noch das andere gelingt mir.
Die Kunst nicht ausschließlich als Zwang, Strafe, Obsession , wie Ingeborg Bachmann es in ihren letzten Lebensjahren verzweifelnd schreibt, sondern als rettende Tätigkeit , wie es Hans Werner Henze für sie beide formuliert.
Hat es für sie jemals eine Alternative gegeben? Eine Chance für jenes herrliche Buch auf Erden , das den Titel »Exulate Jubilate« tragen sollte? Wenige Monate vor ihrem Tod, im Juni 1973, wurde sie in einem Interview nach ihrem Verhältnis zur Welt befragt. Rigoros verwarf sie die bestehende Gesellschaft; sie glaube nicht an diesen Materialismus, diese Konsumgesellschaft … Sie faßte ihre Utopie in den Satz: Ich glaube
wirklich an etwas, und das nenne ich ›ein Tag wird kommen‹. Korrespondiert das nicht mit jenem Einmal muß das Fest ja doch kommen , der Zeile, die Hans Werner Henze am ersten Tag mit Ingeborg Bachmann auf Ischia gehört haben will und die später in ihrem Lyrikzyklus »Lieder von einer Insel« wiederkehrte und das Gedicht aufleuchten ließ. Schließt sich hier ein Kreis?
23. September
Erwacht mit der Zeile: Eine Tür fällt zu im Wind, und eine Straße läuft vom Himmel übers Meer zur Erde zurück.
Heute die Ausstellungseröffnung. Die schwarze Limousine des Kulturstaatsministers ist längst gesichtet worden, aber von ihm keine Spur. Zu Fuß erscheint Michael Naumann. In dem berühmten Hut-Laden in der Via del Babuino hat er sich einen Borsalino gekauft. Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung eröffnet er die Ausstellung. Achtzehn Auflagen in so kurzer Zeit, sagt er in bezug auf »Christiane und Goethe«, davon könne ein Verleger nur träumen. Danach ein Empfang; die völlig überfüllten Räume der Casa di Goethe. Gedränge. Fragen, Meinungen. Die Goethe-Kenner, die genau wissen, wie es gewesen ist, vorgeblich sich in Goethes Sexualität auszukennen meinen. Meine zuweilen nicht sehr diplomatischen Reaktionen darauf.
Dann noch im kleinen Kreis ein Abendessen. Herr Witte, der Vorsitzende des As KI , des Trägervereins der Casa di Goethe, lädt die Geldgeber, den Daimler-Chrys
ler-Konzern, die Jury, den Germanisten Prof. Mario Freschi, den
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