Wohin mit mir
öffentlichen Gebäude bewachen, ihre Kinder spielen neben ihnen. Es gibt nur compañeros und compañeras , die bürgerliche Anrede Herr oder Frau ist außer Kraft gesetzt. Überall strecken sich uns Hände entgegen. Neugier, Fragen, Gespräche. Wir schlendern die Uferpromenade, den Malecon, entlang. Wir essen süße Kartoffeln und schwarze Bohnen mit Fleisch. Trinken Mo
jito, hellen Rum mit Rohrzucker, Limettensaft und frischer Minze in Hemingways Stammbar »Bodeguita del Medio« in der Altstadt von Havanna. Und ebenfalls den von Hemingway geliebten Daiquiri in der Bar »La Floridita«. Wir ruhen uns in den kühlen Innenhöfen der Altstadt mit ihren tropischen Gewächsen aus, sehen in Santa Clara durch die Vorhänge von Holzperlen in die Wohnzimmer, wo auf jedem flimmernden Bildschirm stets Fidel Castro, der máximo líder, zu sehen ist. Gemeinsam mit der Besatzung der »Völkerfreundschaft« marschieren alle Passagiere (überwiegend Rentner, die die Fahrt als Auszeichnung erhalten haben) zum Pionierpalast in Havanna, ein Krankenwagen wird als Solidaritätsgeschenk übergeben. Stolz führt man uns in eine Brauerei, in der nun statt Coca Cola Bier gebraut wird. Und im Zuckerrohrfeld wird uns die schwere Machete in die Hand gelegt. In Varadero schwimmen wir unter dem Beifall der Kubaner im Meer (der Dezember ist für sie kein Bademonat), lachend warnen sie uns vor Haifischen. In Havanna entzücken uns die in die Nacht strahlenden Leuchtreklamen auf den Hochhäusern; auf dem einstigen Hilton-Hotel, nun »Habana libre«, ist zu lesen, welche der Provinzen frei von Analphabetismus sei. Wir fahren zum Haus von Ernest Hemingway, eine Delegation sowjetischer Generäle und hoher Offiziere, alle ordensgeschmückt, besichtigt es. Uns bleibt der nebenstehende Turm, den sich Hemingway eigens für sein Schreiben gebaut und in dem er nie geschrieben hat. Im kahlen Rund der Wände im Erdgeschoß seine Schuhe, unzählige Paar abgerissener Schuhe; sind es die, mit denen er durch den Dschun
gel Afrikas gewandert, die er im Spanischen Bürgerkrieg und als Berichterstatter im Zweiten Weltkrieg getragen hat? Daneben sein Angelgerät, seine Jagdgewehre. 1960 hat Hemingway sein Haus, seine Wahlheimat Kuba verlassen. Ein Jahr später macht er seinem Leben ein Ende, schießt sich eine Kugel in den Kopf. Die Sicht aus seinem Turmzimmer übers Meer: traumhaft.
Schien mir nicht alles traumhaft, was ich da als junge Frau 1964 in Kuba sah? Die Offenheit, Heiterkeit dieser Revolution. Da war nichts Knöchernes, Altes, kein Ziegenbart, keine Fistelstimme. Einmal verirrten wir uns in dem riesigen Militärgelände in der Hafengegend. Flugzeughangars, Munitionsdepots, keinerlei Panik über unsere Anwesenheit, im Gegenteil, freundliches Begrüßen, Geleitschutz dann bis zum Tor, und mehr als einmal nach dem Blick auf die Kamera meines Gefährten eine auffordernde Handbewegung, ein Foto zu machen; das stolze Posieren der barbudos in ihren olivgrünen Uniformen, ihr Lachen in die Kamera hinein, und ich in meinem weißen Hochzeitskleid inmitten der bärtigen Rebellen.
Die Feltrinellis 1964 auf der Karibik-Insel. Ist es das Erlebnis Kuba, das in Giangiacomo Feltrinelli den Glauben an einen Umsturz auch in Westeuropa entflammen läßt, an eine Revolution, die er jetzt und sofort will und der er sich, der Millionärssohn, aufgewachsen im Palazzo in der Via Andegari in Mailand, nun mit Haut und Haar verschreibt.
Will er der italienische Che Guevara werden? Im Dezember 1964, entsinne ich mich, ist Ernesto Guevara
nicht in Kuba. Der nach den Brüdern Castro wichtigste Mann in der Staatsführung, seit November 1959 Präsident der Nationalbank, seit 1961 Industrieminister, tritt in diesen Tagen in New York vor der UNO -Vollversammlung auf. Reist dann nach Afrika. Übt dort im Februar 1965 öffentlich heftige Kritik an der Sowjetunion. Zurückgekehrt nach Kuba, gibt er, nach einem langen Gespräch mit Fidel Castro, alle seine Ämter und seine kubanische Staatsangehörigkeit auf. Taucht unter. Die ganze Welt spekuliert über sein Verschwinden. Er wendet sich wieder dem bewaffneten Kampf zu; mit 113 schwarzen Kubanern geht er nach Afrika, wo er im April 1965 im Kongo an der Guerilla gegen Präsident Tschombé teilnimmt. Erst am 3. Oktober verliest Fidel Castro auf dem Parteikongreß in Havanna Ches Abschiedsbrief. Sein Scheitern im Kongo bereits im November. In Tansania dann die Niederschrift des »Afrikanischen Traums«. Nach einer Zeit inkognito in Prag
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