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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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fast zwölf Jahren, die Heimstatt eines Verlages, keineswegs eine Selbstverständlichkeit in dieser wirbelnden Zeit. Ein Verlag, der, in Ost und West geteilt, nun die Orte wieder vereint: Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig steht in seinem Signet. Die schöne Sicherheit, die freundschaftliche Nähe, die mein Verleger mir bietet.
    Ist wirklich ein Jahrzehnt vergangen? Ich denke ein Dezennium weiter, da wird mein jetzt fünf Monate altes Kindeskind ein Schuljunge von zehn Jahren sein, meine Söhne werden vierzig und vierundvierzig, und ich werde fast siebzig sein. Es ist mir nicht vorstellbar. Ich blicke auf Siegfried Unseld, sehe ihn im Herbst 1989 vor mir, suche Spuren des gelebten Lebens, der Jahre an ihm wahrzunehmen, Anzeichen von Altern oder Erschöpfung. Ich kann nichts entdecken, er scheint mir unverändert vital.
    Worin besteht sein Geheimnis? In der enormen Arbeitsdisziplin, in der Anteilnahme? Er steht unweit von mir, spricht mit dem sichtlich erregten Habermas; in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist ein heftiger Angriff von Peter Sloterdijk auf Habermas erschienen. Sie beraten offensichtlich eine Gegenstrategie. Auch Sloterdijk ist Unselds Autor. Ein Balanceakt, wie schafft er es, so unterschiedliche Autoren wie die beiden oder einst Uwe Johnson, Thomas Bernhard, Wolfgang Koeppen und jetzt Martin Walser an sich zu binden? Mehr noch, mit ihnen befreundet zu sein? Sein großes Bedauern gestern über die Absage Peter Handkes,
dessen Begründung: Er wolle durch seine in die Kritik geratene Haltung zu Serbien das Fest nicht stören.
    Unselds schwere gedrungene Gestalt. Ich erinnere mich an meine letzte Begegnung mit ihm. Vor wenigen Monaten war es, gegen Ende meiner Lesereise, am 25. April. Wir trafen uns in der Frankfurter Innenstadt. Er in hellem, offenem Mantel. Ich dagegen lächerlich eingepackt. Wir schlenderten die Freßgasse entlang, aßen bei seinem Italiener, in der rosa Nische, die stets ihm vorbehalten ist. Ulla sei in Hanau bei ihren Eltern, erzählte er, ihr Buch sei fertig, sie sei in einer angespannten Situation (wie ich das verstand), zudem stehe die Premiere ihres Stückes »Golem in Bayreuth« in der Regie von Einar Schleef in München bevor. Unser Streit wegen des a in Christiana war längst beigelegt. Wir sprachen über Rikya Nishijama, unseren gemeinsamen Übersetzer ins Japanische. Mein Verleger erzählte mir von seinem Aufenthalt bei Peter Handke in Caville bei Paris, von Handkes rührender Fürsorge, als er eine Fischvergiftung hatte. Und von seinem Vorhaben, Louis Begley in Venedig zu besuchen, von dort aus flöge er nach Berlin zu Volker Brauns 60. Geburtstag. (Ich entsinne mich an Volkers Feier am 8. Mai im Prenzlauer Berg. Siegfried Unseld kam nicht. Wegen der kriegerischen Operationen der NATO im Luftbereich über Serbien waren alle Flugverbindungen von und nach Italien gestört, alle Maschinen hatten unannehmbare Verspätungen. Volkers berührende Rede über seine Mutter, wie sie nach dem Krieg ihn und seine drei Brüder allein großgezogen hatte. Und ich erinnere mich daran, daß ein Foto auf den Stufen des
Restaurants »Gugelhof« gemacht werden sollte. Wolfgang Thierse stand neben Volker Braun. Vorübergehende junge Leute erkannten den Regierungsrepräsentanten, blieben stehen, riefen laut und wiederholt, schließlich im Chor: Kriegstreiber.)
    Bei jenem Essen in Frankfurt, entsinne ich mich, fragte ich Siegfried Unseld, was er im Rückblick für seine größte Stärke hält. Nicht aufgeben. Niemals aufgeben, immer weitermachen, antwortete er.
    Sein Geheimnis, scheint mir, ist – um es mit einem altmodischen Wort zu sagen – seine unbedingte Treue seinen Autoren gegenüber. Man könnte es auch Ergebenheit nennen. Er dient ihnen. Hat – selbst Autor – einen tiefen Respekt vor dem Schöpferischen und den damit verbundenen Eigenwilligkeiten und Eigenarten jedes Schreibenden.
    Er löst sich von Habermas. Geht umher. Sein Geburtstag ist ihm Anlaß, seine Autoren, die sich mitunter nur aus Büchern oder Verlagsvorschauen kennen, persönlich zu verbinden, Freundschaften zu stiften; es ist die Vision einer großen Familie, die er zu haben scheint. Er vergißt keinen. Seine Fürsorglichkeit für mich, den Neuling.
     
    Das ankommende Boot. Es bringt uns zur Insel Torcello. Die Kirche Santa Fosca aus dem 11. Jahrhundert mit dem schönen umlaufenden Portikus aus hellen Marmorsäulen. Und das bedeutendste Bauwerk von Torcello, die Kathedrale Santa Maria Assunata.

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