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Wohin mit mir

Wohin mit mir

Titel: Wohin mit mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Damm
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kehrt er im Juli 1966 heimlich nach Kuba zurück, bereitet mit Castros Hilfe den Kampf in Bolivien vor. Am 7. November trifft er – unter dem Decknamen Ramón – im Basislager in Ñancahuazú im Südosten Boliviens ein. Auch da ein fast vorprogrammiertes Scheitern. Kaum ein Jahr später wird er bei einem Gefecht in der Juro-Schlucht gefangengenommen und am 9. Oktober 1967 auf Befehl des bolivianischen Präsidenten erschossen.
    Auf die Nachricht vom Tod Che Guevaras hin läßt Giangiacomo Feltrinelli 100 000 Poster mit der Aufschrift Che lebt drucken. Sie stehen gegen die am 10. Oktober von der Nachrichtenagentur UPI verbreiteten Bil
der des Toten. Vor allem gegen jenes nach Rembrandts Gemälde »Anatomiestunde des Doktor Tulp« inszenierte Foto, auf dem der im Waschhaus von Vallegrande aufgebahrte Leichnam Ernesto Guevaras mit Personen von Militär und bolivianischer Staatsgewalt zu sehen ist. Noch ehe die große Gedenkkundgebung der Hunderttausend für Che mit Fidel Castro in Havanna am 18. Oktober 1967 stattfindet, kommt es am 15. Oktober 1967 in Mailand zu einer großen Demonstration. Das Poster Che lebt ist allgegenwärtig. Das Foto hat er kubanische Fotograf Alberto Diaz, Bildreporter der Zeitung »Revolution«, am 5. März 1960 bei der Trauerfeier für die Opfer des Attentats auf das Schiff La Combre gemacht. (20 Sekunden, sagt Alberto Diaz später, habe er Che vor der Kamera gehabt.) Che weiß nicht, daß er fotografiert wird. In seinem Blick ist etwas Verborgenes, Geheimnisvolles. Wohin geht dieser Blick, in sein Inneres, in die Ferne, in einen Traum, ins Nirgends? Das Bild ist von einer leichten Unschärfe; diese Unschärfe bekommt mit dem Tod eine metaphorische Bedeutung. Ein Foto, das man als Geschenk des Zufalls für die Ewigkeit sehen kann. Giangiacomo Feltrinelli hat den Fotografen 1964 in seinem Studio in Havanna besucht und das Negativ mit nach Mailand genommen.
    Der blühende Garten der Locanda Cipriani auf Torcello.
    Das Schicksal des Giangiacomo Feltrinelli. Sein Kontakt zur radikalen Studentenbewegung, zu Renato Curio, dem Gründer der italienischen Brigate Rosse, einem Pendant zur deutschen Roten Armee Fraktion. Er
selbst schafft nach dem Vorbild der kubanischen Guerilla die GPA , die Gruppi d'Azione Partigiana, eine bewaffnete Formation im Untergrund. Er zieht sich aus allen Verlagsgeschäften zurück, übergibt die Verlagsleitung an seine Frau Inge als Vizepräsidentin und an zwei Freunde.
    1969 explodiert in einer Mailänder Bank eine Bombe, sechzehn Leute sterben, über hundert werden verletzt. Die Ermittlungen der Polizei konzentrieren sich auf linke Gruppen, auch Feltrinelli wird verdächtigt. Er taucht unter. Daß das Attentat von Neofaschisten verübt wurde, wird erst viele Jahre später nachgewiesen. 1968, zehn Jahre nach dem Beginn ihrer Liebe, trennt sich Giangiacomo von Inge, heiratet seine vierte Frau Sibilla. Er lebt weiterhin im Untergrund. Am 15. März 1972 kommt er bei einem Anschlag auf das Stromnetz von Mailand ums Leben. Ein Unfall, ein Selbstmord, ein Attentat der Rechten? Die bis heute ungeklärten Umstände geben Spekulationen Raum. Bewiesen ist, daß Feltrinelli den Sprengstoff selbst zündete. Ein Unfall, wie sein Sohn meint. Carlo ist zehn Jahre, als sein Vater umkommt. Jetzt ist er sechsunddreißig und leitet zusammen mit seiner Mutter den noch immer im Mailänder Palazzo der Familie befindlichen Verlag »Giangiacomo Feltrinelli Editore«.
     
    Inge Feltrinelli, sehe ich, geht von Tisch zu Tisch. Sie, ich bin völlig überrascht, umarmt auch mich, Christianes wegen, sagt sie, und breitet die Arme schon für Jorge Semprún aus. Ihre temperamentvolle Gestik, ihr perlendes Lachen. (Ein Jahrzehnt später wird sie mir erzäh
len, daß sie – im Einverständnis mit Ulla Berkéwicz – es war, die sich dieses wunderbare Fest in dem paradiesischen Garten in Torcello ausgedacht und arrangiert hat, sie ist mit der Familie Cipriana befreundet.)
    Später warten wir im kleinen Hafen. Nili Oz erzählt über ihr Leben im Kibbuz und vom Sohn, der in Berlin studiert. Das Boot legt an, der Himmel hat sich bewölkt, Wind ist aufgekommen. Bis auf Amos Oz und Ulla Berkéwicz, die sich außen auf eine Bank setzen, ziehen alle die überdachte geräumige Kajüte vor. Ich stehe in deren Eingang und lasse mir den Fahrtwind ins Gesicht wehen. Komm rein, ruft mein Verleger, du erkältest dich. Ich beruhige ihn, verneine und bleibe draußen. Ein zweiter mahnender, fast befehlender Ruf: Komm in

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