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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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höchstwahrscheinlich ganz anders aus, da, wie oft in Fällen von Antisemitismus, die Verfolgung der Juden durch das neue Regime nicht nur von Rassismus, sondern auch von wirtschaftlichen Beweggründen geleitet war. Als Offiziere maskierte Kommunisten raubten keine Wiener Wohnungen aus, niederrangige Nazis und Straßenbanden hingegen sehr wohl, und die Regierung wollte diese Plünderungen stoppen, um das Eigentum von Männern und Frauen jüdischer Herkunft selbst einzustreifen. Wenn die Regierung die Polizei anwies, »illegale« Durchsuchungen von jüdischen Wohnungen zu unterbinden, dann tat sie genau das, was die öffentlichen Verlautbarungen der Nazis vermuten ließen: Man beantwortete Käthes Anruf, bestätigte ihr, sie habe richtig gehandelt, und wiederholte, sie solle die Tür nicht öffnen, bis ein Beamter erscheine. Binnen weniger Minuten war ein Polizist zur Stelle und ließ sich die Papiere der Männer zeigen.
    Der Mann in Schwarz war SS-Mitglied, wie seine Uniform schon vermuten ließ. Der andere in Zivil war ein Mitglied der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei. Da sie die waren, als die sie sich ausgegeben hatten, wechselte der Polizist die Rolle als potenzieller Beschützer und wurde Gehilfe der Aggressoren. Er half dem SS- und dem Gestapo-Mann bei der Durchsuchung der Wohnung und begleitete sie dann, als sie Käthe und ihr Hausmädchen ins Hotel Metropol am Donaukanal brachten, wo die Gestapo ihre Verhöre durchführte, viele ihrer Opfer folterte und Kurt von Schuschnigg achtzehn Monate lang in Einzelhaft hielt. Nachdem Käthe über ihre finanziellen Umstände verhört worden war, brachten die drei Männer sie und das Hausmädchen zurück in die Rechte Bahngasse und nahmen die Durchsuchung wieder auf.
    Ein ungewöhnlich hoher Anteil von Käthes Eigentum befand sich in ihrer Wohnung, ganz in der Tradition der Gallias; Moriz und Hermine etwa hatten zwei Geldschränke in der Wohnung gehabt, statt einen Safe oder ein Schließfach in der Bank zu mieten. Nachdem die Beamten Käthe wieder in die Rechte Bahngasse gebracht hatten, zeigte sie ihnen, wo der Safe war, in dem sie ihre wichtigen Unterlagen und den wertvollsten Schmuck aufbewahrte. Als sie wenige Monate später versuchte, alles aus dem Gedächtnis aufzulisten, berichtete sie, dass es sechzehn verschiedene Wertpapiere gegeben habe – ungarische, tschechische, schweizerische und französische ebenso wie österreichische. Es gab sechs Bankkonten bei Wiener Banken, 2000 neue deutsche Reichsmark in bar, kleinere Summen in Fremdwährungen. Es gab drei Perlenketten und eine mit Diamanten, eine große Diamantbrosche in Form eines Bogens mit zwei daran hängenden Perlen, lange Diamantohrringe und solche mit Perlen, vier Armbänder, mit Diamanten, Perlen, Rubinen und Smaragden besetzte Ringe, zwei Diamantanhänger, eine Diamantnadel und eine Saphirnadel, dazu eine Platin-Armbanduhr mit eingelegten kleinen Saphiren und Diamanten.
    Noch viel mehr zählte sie auf. Käthe besaß mindestens neun Goldbroschen, einige mit Halbedelsteinen, andere mit einer heiligen Cäcilia darauf, zudem Ohrringe aus Kunstperlen mit einem Platinclip und kleinen Diamanten, ein weiteres Paar mit Rosenquarz, sieben Goldarmbänder, mit Halbedelsteinen geschmückt. Dann noch zwei weitere Goldringe, der eine mit kleinen Saphiren, der andere mit kleinen Diamanten; etliche Goldanhänger in Form von winzigen Büchern, Messern, Medaillons und Schutzengeln. Dann besaß sie eine Garnitur Schmuck aus Muscheln: Broschen, Anhänger, Armbänder, Ringe, Ohrringe und Halsketten, dazu eine kleine Perlennadel, eine gedrehte Perlenkette, zwei Armbänder aus kleinen Perlen, ein Platinarmband, verziert mit Perlen und kleinen Diamanten, etliche Gold- und Silberarmbanduhren und einen Behälter in Form eines Ostereis, es enthielt einen aus winzigen Diamanten gefertigten Schlüssel und ein ebensolches Herz.
    Die Nazis hatten es auf Käthe abgesehen, das entsprach ihrer Strategie, sich die reichsten Mitglieder von wohlhabenden Familien vorzunehmen, um sich deren Vermögen anzueignen; sie und ihre Verwandten sollten eingeschüchtert und bewogen werden, ihre Besitztümer zurückzulassen und zu fliehen. Der Inhalt von Käthes Safe bestätigte, dass es wert war, sie weiter zu schikanieren. Dass sie kein Gesetz verletzt hatte, bedeutete nichts. Die Nazis verhafteten sie unter dem Verdacht, ihre Vermögenswerte illegal ins Ausland schaffen zu wollen. Als ihr Onkel Paul Hamburger zufällig in die Wohnung kam,

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