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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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verhafteten sie auch ihn. Sie nahmen sich Käthes Wertpapiere, Sparbücher und Bargeld, insgesamt 80.000 Reichsmark, legten aber den Schmuck in den Safe zurück und behielten den Schlüssel. Dann versiegelten sie die Wohnung, außer einem Hinterzimmer, das sie für das Hausmädchen offen ließen, und brachten Käthe in das Polizeigefängnis in der Hahngasse im neunten Bezirk. Es war für gewöhnliche Kriminelle errichtet worden; nun hatten die Nazis daraus eine Haftanstalt für »unerwünschte Personen« gemacht – Juden, Kommunisten, Sozialisten, Anhänger Schuschniggs und Monarchisten, die eine Rückkehr der Habsburger anstrebten.
    Käthes Zelle war überfüllt, die einzige Toilette ein Eimer, es gab kaum Gelegenheit, sich zu waschen. Etliche Male wurde sie ins Hotel Metropol zurückgebracht, um von der Gestapo verhört zu werden, die inzwischen allen Schmuck aus der Wohnung geholt hatte, die Gemälde aber nicht beachtete, da sie weniger wertvoll schienen. Ihre Befragung, so erinnerte sich Käthe, fand im Zimmer Nummer 383 statt, verhört wurde sie von einem Beamten namens Kreipl. Doch sie hatte noch Glück, in Wien inhaftiert zu sein statt im Konzentrationslager Dachau, wo die Bedingungen weit ärger waren. Glück hatte sie auch, da die Nazis zwar darauf aus waren, alle Juden so bald wie möglich zum Verlassen Österreichs zu zwingen, nachdem sie ihnen zuvor einen Großteil ihres Vermögens abgenommen hatten, immerhin aber noch gelegentlich einen Funken Respekt für das Gesetz zeigten und sich auf Verhandeln einließen. Wie Angehörige anderer reicher Familien suchten auch Erni und Gretl den besten juristischen Beistand, das bedeutete hier die besten Nazi-Beziehungen. Sie fanden einen erfahrenen Verteidiger, Stephan Lehner, ein Parteimitglied.
    Bemerkenswert war Käthes Bereitschaft, sich den Nazis entgegenzustellen. Weit davon entfernt, umgehend ihren Forderungen zuzustimmen, lehnte sie sie ab, obwohl das bedeutete, dass sie noch länger im Gefängnis bleiben musste. Die Gestapo setzte sie zunächst unter Druck, ein Abkommen zu unterzeichnen, aufgrund dessen sie ihre Aktien, Wertpapiere, Schmuck und Bargeld abtrat und sich verpflichtete, Großdeutschland binnen zwei Tagen zu verlassen. Das lehnte sie ab, höchstwahrscheinlich auf den Rat von Stephan Lehner hin, da sie so schnell weder die notwendigen Visa besorgen noch ihre Angelegenheiten in Ordnung hätte bringen können. Dann bot ihr die Gestapo eine Frist von vierzehn Tagen an; auch das lehnte sie ab, weil sie den Auflagen nicht hätte entsprechen können. Schließlich gestand man ihr drei Monate zu und schlug vor, sie solle um ihren Schmuck ansuchen, dann könne sie ihn eventuell behalten. Dem stimmte sie zu und wurde nach sieben Wochen entlassen.
    Die Nazis verweigerten ihren Gefangenen meist den Kontakt mit Familie und Freunden. Während Käthe in der Hahngasse war, erlaubten sie bloß, dass ihr jemand saubere Kleidung und Toilettesachen brachte und einmal in der Woche die Schmutzwäsche abholte. Wie bei allen anderen Aspekten jüdischen Lebens unter den Nazis bedeutete das Schlangestehen, oft über längere Zeit, was es besonders bedrohlich und riskant machte. Anne erinnerte sich, dass sie es für Käthe tat, »weil die Leute zu Kindern freundlicher waren als zu Erwachsenen«. Viele kaum zwölfjährige Jungen und Mädchen übernahmen aus diesem Grund ähnliche Pflichten. Gretl mag sich aber auch gedacht haben, dass ein aufblühendes sechzehnjähriges Mädchen eine bessere Chance hatte, männliche Bürokraten umzustimmen, als eine korpulente Matrone in mittleren Jahren wie sie.
    Die meisten Berichte über den »Anschluss« zeichnen die Nazis als allmächtig und ihre Opfer als vollkommen nachgiebig; das lässt außer Acht, dass jüdische Männer und Frauen das neue Regime gelegentlich austricksten, wenn auch nur bei Kleinigkeiten. Die Bridge spielende, im Chor singende Gretl, die Geschäftsfrau Käthe und das Schulmädchen Annelore gehörten zu ihnen. So wie Käthe entdeckte, dass sie in der Schmutzwäsche versteckte Botschaften aus dem Gefängnis schmuggeln konnte, so fanden Gretl und Annelore heraus, dass sie Nahrungsmittel ins Gefängnis schmuggeln konnten, um Käthes Gefängniskost aufzubessern. Wahrscheinlich taten sie das sofort, damit Käthe in der Hahngasse Ende April ihren 39. Geburtstag feiern konnte. Ihre List bestand darin, Schlagrahm als Zahnpasta in den Toiletteartikeln zu verstecken, die Annelore ihr brachte.
    Das Schriftstück, das Käthes

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