Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
bedeutsamsten Orte für die Raubzüge der Nazis. Die Wolff-Knizes aber versteckten ihre Gemälde in der rumänischen Botschaft, während Gretl und Käthe mit all ihren Bildern und Möbeln flohen, und so war die Wohllebengasse auch die Gegend, in der die beste Sammlung den Nazis entging, obwohl sie in Österreich verblieb, und die beste Privatsammlung außer Landes geschafft werden konnte.
Eine ganze Reihe von Gesetzen, alt wie neu, legte fest, was Gretl und Käthe mitnehmen durften. Eines war das Ausfuhrverbotsgesetz, das Österreich 1918 eingeführt hatte, um die Plünderung seiner Kunstschätze nach dem Ersten Weltkrieg hintanzuhalten; 1923 wurde es novelliert, sodass nun alle Objekte von historischer, künstlerischer oder kultureller Bedeutung im öffentlichen Interesse geschützt werden konnten. Ein weiteres, in Deutschland erlassenes Gesetz, das den Verlust von Vermögen während der Wirtschaftskrise eindämmen sollte, sah eine Ausreisesteuer vor, die die Nazis mit einem Viertel dessen festsetzten, was das Vermögen eines jeden Flüchtlings betrug. Ein weiteres Gesetz, in Deutschland als Maßnahme während der Wirtschaftskrise erlassen und später von den Nazis verschärft, verbot es den Flüchtlingen, ihr restliches Eigentum und Geld in Devisen umzutauschen. Die 1938 erlassene »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden« lieferte den Nazis noch mehr Informationen, wen sie ins Visier nehmen sollten, und außerdem eine Grundlage zur Festlegung der Steuer, die die Flüchtlinge bei der Ausreise zu entrichten hatten.
Die wertvollsten Besitztümer, die Gretl und Käthe zurücklassen mussten, waren die Häuser in der Wohllebengasse und in Altaussee, die ihnen gemeinsam mit Erni gehörten. Aufgrund des langjährigen Engagements der Familie in der Gasindustrie hatten Gretl und Käthe auch bei zwei Gasgesellschaften erhebliche Anleihen gezeichnet, die sie nicht mehr zurückbekamen. Obwohl Gretl zur Zeit des »Anschlusses« bedeutende Aktien- und Wertpapierdepots besaß, musste sie sie verkaufen, um die Ausreisesteuer entrichten zu können. Käthes Anwalt versuchte die Gestapo davon zu überzeugen, die Aktien, Wertpapiere und das Bargeld, die die Gestapo im April beschlagnahmt hatte, als Ausreisesteuer zu betrachten, doch die Entscheidung hatte wenig Bedeutung, da Käthe ja ihr restliches Geld nicht mitnehmen konnte. Dasselbe galt für Annelore, die in der Österreichischen Postsparkasse Wertpapiere und Obligationen liegen hatte.
Bei den Kunstobjekten und Möbeln Gretls und Käthes sah die Sache anders aus. Die Schwestern durften sie mitnehmen, vorausgesetzt, sie erhielten die Genehmigung der Zentralstelle für Denkmalschutz, welche die österreichischen Kulturgüter verwaltete. In den dreißiger Jahren war das eine eher wirkungslose, unterfinanzierte Organisation, großteils ignoriert von den Personen, die Kunstwerke aus Österreich auszuführen gedachten. Nach dem »Anschluss« nahm sie an Umfang und Bedeutung rapide zu, da die Flüchtlinge vor dem Verlassen des Landes dort Genehmigungen einholen mussten. Vorher hatte sie etwa hundert Anträge pro Jahr entgegengenommen, 1938 waren es 10.500.
Am heikelsten war die Angelegenheit bei den Waldmüller-Bildern der Gallias, nicht nur, weil er allgemein als einer der großen österreichischen Meister galt, sondern auch, weil er einer der Lieblingsmaler Hitlers war, weshalb seine Bilder auch am häufigsten von den Nazis geraubt wurden. Gretl und Käthe mussten entscheiden, ob sie im Juli 1938, als sie nach den Bestimmungen der Verordnung für die Registrierung jüdischen Eigentums ein Inventar abgeben mussten, die Existenz der Porträts angeben sollten. Käthes Liste von Gemälden ist nicht erhalten, jene von Gretl liegt im Österreichischen Nationalarchiv. Wie viele andere Flüchtlinge tat Gretl, was sie konnte, um den Schätzwert so niedrig wie möglich zu halten. Sie ließ ihre Bilder nicht von einem Experten schätzen, sondern von einem Schätzmeister. Obwohl ihr Porträt von Waldmüller signiert und datiert war, behauptete sie, es sei eine Kopie, und der Schätzmeister akzeptierte diese Zuschreibung, wodurch die Ausreisesteuer erheblich niedriger ausfiel. Waldmüller-Porträts waren damals 5000 Reichsmark wert, Gretls Gemälde wurde auf 66 Reichsmark geschätzt.
Auch Otto Kallir, Besitzer der führenden Wiener Galerie für moderne Kunst, ebenfalls ein Flüchtling, bediente sich eines Tricks, als er die Genehmigung der Zentralstelle einholte. Er nutzte
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