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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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seine besonderen Beziehungen im Wiener Kunstestablishment und ließ seine Sammlung durch Bruno Grimschitz, den Vizedirektor der Österreichischen Galerie, prüfen; Grimschitz war soeben in Anerkennung seiner Verdienste um die NSDAP während der Verbotszeit die Parteimitgliedschaft verliehen worden. Wegen ihrer langjährigen Verbindung erwartete Kallir eine bevorzugte Behandlung durch Grimschitz, und er erhielt sie auch, obwohl Grimschitz auf ein weiteres Avancement unter den Nazis aus war. Er verweigerte Kallir zwar die Erlaubnis, einige Biedermeier-Bilder auszuführen – »die müssen wir den Göttern opfern«, meinte er –, doch dieser durfte weit wertvollere alte Bilder mitnehmen, ebenso die Bilder aus dem zwanzigsten Jahrhundert; das entsprach der üblichen Einschätzung der Zentralstelle, solche Bilder seien noch nicht Teil des österreichischen Kulturerbes.
    Gretl hatte keine solchen Beziehungen. Grimschitz war zwar vor dem »Anschluss« eng mit ihrem Onkel Paul Hamburger befreundet gewesen, doch als sie im August um die Genehmigung der Zentralstelle ansuchte, fühlte sie sich nicht in der Lage, diese Freundschaft auszunutzen. Wahrscheinlich wusste sie auch, dass Grimschitz ein eifriger Handlanger des Nazistaates geworden war und beim Plündern von Kunst aus jüdischen Sammlungen in vorderster Linie stand. Stattdessen wurden ihre Bilder auf dem üblichen Weg durch den Zweiten in der Zentralstelle für Denkmalschutz, Josef Zykan, geprüft, der das Porträt als Waldmüller erkannte und die Genehmigung für eine Ausfuhr verweigerte.
    Die einzig verbleibende Grundlage, auf der sie das Bild eventuell hätte mitnehmen können: Sie konnte behaupten, es sei ein Familienporträt, und das bedeutete, es hätte einen Juden dargestellt. Solche Bilder waren teilweise von den Bestimmungen der Zentralstelle ausgenommen – das Jüdische des Modells befleckte offenbar die Kunst. So nahm auch Ferdinand Bloch-Bauer an, die Nazis würden ihm nach seiner Flucht vier Familienporträts aushändigen, darunter die zwei Klimt-Bildnisse seiner Frau Adele. Doch das einzige Bild, das er zurückerhielt, war ein Kokoschka, den ihm die Nazis 1944 in die Schweiz zurückstellten – ein außerordentliches Beispiel von Kunstrestitution mitten im Krieg.
    So wie Gretl Annelore mit als Zahnpasta camoufliertem Schlagrahm in die Hahngasse geschickt hatte, als Käthe dort inhaftiert war, schickte sie sie jetzt in die Zentralstelle für Denkmalschutz, um weitere Vorwände zu versuchen. Wie so oft, wenn Anne später über das Geschehene schrieb, war ihr Bericht beiläufig, ließ nichts von den Risiken erkennen und gab keine Andeutung davon, ob sie Angst gehabt hatte. Es war, als hätte Anne, als sie die Geschichte niederschrieb, die Dimension dessen, was sie getan hatte, nicht erkennen oder nachvollziehen können. Sie schrieb einfach: »Man sagte mir, ich solle die Bilder in das Büro bringen, wo die Freigabe erfolgen würde. Ich habe sie hingebracht und behauptete, sie stellten meine Verwandten dar.«
    Diese Behauptung war lächerlich. Als Hermine und Moriz die Bilder gekauft hatten, wusste man zwar nicht, wer die Modelle waren, doch es konnten keine Verwandten sein, denn 1837, als Waldmüller die Bilder gemalt hatte, lebten nur sehr wenige Juden in Wien, und darunter waren keine Gallias oder Hamburgers. Als beflissener Beamter hätte Josef Zykan Gretls Ausflüchte erkennen oder zumindest von ihr verlangen können, sie zu belegen. Stattdessen wurde das Gemälde zu einem von fünfzig Fällen, in denen die Zentralstelle ihre ursprüngliche Ausfuhrverweigerung zurücknahm. Zykan erteilte Gretl die Erlaubnis, das Porträt auf der Basis dessen, dass es »aus der Familie der Besitzer« stamme, auszuführen.
    Käthes Antrag wurde von einem anderen höheren Beamten erledigt, Otto Demus, der im Jahr darauf aus verschiedenen Gründen, persönlichen wie politischen, nach Großbritannien emigrierte. Demus verzeichnete, dass Käthe elf Ölbilder besitze, er erwähnte jedoch den zweiten Teil des Waldmüller-Doppelporträts nicht, was vermuten lässt, er habe nicht gewusst, dass sie eines besaß. Da es unsigniert war, hat Demus vielleicht nicht erkannt, dass es von Waldmüller stammte. Er hatte Gretls Bilder nicht untersucht und somit keinen Grund zu vermuten, es sei das Pendant zu ihrem signierten Bild. Ein wenige Jahre später geschriebener Brief Gretls deutet jedoch an, dass die Zentralstelle anfangs die Ausfuhrgenehmigung für beide Porträts verweigerte. Auch

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