Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
Juden«.
Anne und Eric gingen nun miteinander, aber sie konnten sich nach wie vor nur am Wochenende sehen, da ihre Wohnungen so weit voneinander entfernt lagen und er am Abend lernen musste. Sie erlebten sehr schöne Zeiten, doch die Beziehung gestaltete sich oft prekär. Wenn Eric heiraten wollte, wollte Anne nicht und umgekehrt. Dasselbe galt, wenn einer von beiden Schluss machen, aber dazu das Einverständnis des anderen haben wollte. Erics Vater war ein Hauptgrund für die Spannungen. Edward Bonyhady mochte Anne nicht, er verabscheute alle, die vom Judentum abgefallen waren, Anne wiederum hasste Edwards religiösen Eifer und seine Macht über Eric, der wiederum zur Einsicht kam, Anne übe zu viel Macht über ihn aus. »Ich habe Dir zu viel nachgegeben«, schrieb er im September 1947, »habe Dir zu oft die Führung überlassen!«
Im Dezember 1947 – Anne stand kurz vor ihrem 26. Geburtstag und unterrichtete in der Sacré-Cœur-Klosterschule, Eric war eben 24 geworden und arbeitete immer noch als Bauzeichner – beschlossen sie zu heiraten. Schon die Woche darauf sahen sie sich nach einer Wohnung um. Eine Woche später verriet Eric Edward, was sie vorhatten, und der »Kampf« begann, wie Anne notierte: Edward verlangte, dass sie ein Jahr warten sollten und Anne zum Judentum übertreten müsse, damit Eric und sie eine traditionelle jüdische Hochzeit feiern könnten. Bei einem Gespräch am 28. Dezember weigerte sie sich, zu konvertieren, stimmte aber der Wartezeit zu, nur um dann zu befürchten, sie habe zu sehr nachgegeben. Am späten Abend schrieb sie einen Brief an ihren »liebsten Eric« und verlangte gleich anfangs, er müsse sich sofort entscheiden und zwischen seiner Familie und ihr wählen. Entweder sie heirateten sofort, oder sie müssten sich trennen. Am Schluss erklärte sie sich dann doch bereit zu warten, bis Edward den Tag der Hochzeit festgesetzt habe, Eric müsse aber sofort von zuhause ausziehen.
Eric stimmte einer sofortigen Hochzeit zu, sagte aber seiner Familie nichts davon. Seine Tante Mira bestand darauf, mit Anne zu sprechen, und drängte sie, zum Judentum überzutreten, sonst wäre ihre Ehe mit Eric ein unauslöschlicher Fleck auf der Familienehre der Bonyhadys; Anne hielt Mira daraufhin für »fanatisch«. Am 3. Jänner 1948 heirateten Anne und Eric am Standesamt in der Stadt, nur die beiden Trauzeugen waren zugegen. Als sie aus dem Gebäude traten, erwischte sie ein Straßenfotograf, händchenhaltend und strahlend vor Glück. Sie aßen in der Wohnung in Cremorne mit Kathe und Gretl zu Mittag; Gretl war wegen der Schulferien aus Armidale nach Sydney gekommen. Am Nachmittag sahen sie sich einen neuen britischen Film an, »Die schwarze Narzisse«, obwohl Anne Populärkultur nicht besonders schätzte. Die Hochzeitsnacht verbrachten sie in einem Hotel.
Bedrückt, dass sie nun seiner Familie Bescheid sagen mussten, versuchten sie vergeblich, Mira anzurufen. Als Eric am nächsten Tag in die Wohnung in Cremorne zog, schrieb er einen Brief, um Edward und Edith zu informieren, was er und Anne getan hatten, und um sie zu beschwichtigen. »Liebste Eltern«, begann er auf Deutsch, obwohl er ihnen sonst auf Englisch schrieb, und fuhr fort mit »Ad Mea Shana«, ausnahmsweise den hebräischen Gruß seines Vaters gebrauchend. »Hoffentlich versteht ihr, wie leid es uns tut, euch schriftlich zu verständigen, dass wir soeben geheiratet haben. Aber wenn ihr euch in unsere Lage versetzt und euch vorstellt, wie sehr wir einander lieben und dass wir unsere Beziehung nicht aufgeben können, werdet ihr verstehen, dass wir keinen anderen Ausweg sahen, als rasch und heimlich zu heiraten. Das haben wir am Samstag getan, und jetzt freuen wir uns, von euch zu hören, wann wir persönlich euren Segen entgegennehmen dürfen.«
Eric und Anne nach ihrer Hochzeit in Sydney. Jänner 1948.
Gretl tat ihr Bestes, um Anne und Eric von ihren eigenen Erfahrungen mit der Ehe profitieren zu lassen. Da Hermines Kritik an Paul Herschmann so destruktiv gewesen war, beschloss Gretl, sich stets auf Erics Seite zu stellen, wenn er und Anne stritten. Als Gretl im April von Anne einen Brief erhielt, in dem diese ihr erstes Pessach mit den Bonyhadys beschrieb – mit ziemlicher Sicherheit das erste Pessachfest, dem Anne beiwohnte –, war Gretl so verstört, dass sie Anne sofort schrieb und ihre eigenen Erfahrungen in einer ähnlichen Situation beschrieb: Pauls offenkundige Verachtung für den katholischen Glauben der Gallias, als er
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