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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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Langer-Familiengrab in Wien beerdigt zu werden wünschte, so wollte Gretl mit Moriz, Hermine und Lene auf dem Hietzinger Friedhof begraben liegen. Da die katholische Kirche eine Einäscherung seit jeher untersagt hatte, suchte sie beim Kardinal von Sydney, Norman Gilroy, um eine Dispens an; als sie erfuhr, dass das Verbot gelockert worden war, beauftragte sie einen Steinmetz, ihren Namen und das Geburtsdatum in den Grabstein zu meißeln, sodass nur noch das Sterbedatum hinzugefügt werden musste. Ein Kodizill zu ihrem Testament drückte ihr Fremdheitsgefühl in Australien aus, wo sie inzwischen mehr als 25 Jahre gelebt hatte. Sie erklärte, falls sie nicht, wie sie es wünschte, in Wien beigesetzt werden könne, »möchte ich, dass meine Asche verstreut wird, aber ich wünsche ausdrücklich nicht, dass sie in Australien beigesetzt wird; zumindest im Tod möchte ich keine Ausländerin sein«.

Gretl, Kathe, Anne, Bruce und Tim in der Wohnung in Cremorne. Weihnachten 1967. An der Wand eines der Bilder von Hermines Geburtsort Freudenthal, gemalt von Carl Moll.
    Kathe hing weit weniger an Österreich. Fast ihr ganzes Leben in Sydney lang betrachtete sie Wien als einen Ort, den sie ein für alle Mal verlassen hatte. Nach ihrer Haft in der Hahngasse im Gefolge des »Anschlusses«, nachdem sie sich nach der Kristallnacht im Auto ihres Anwalts hatte verstecken müssen, konnte sie sich keine Rückkehr vorstellen. Zudem war sie weit mehr an Australien interessiert. Gretl reiste höchstens bis Melbourne, Kathe aber fuhr allein nach Alice Springs, um die rote Mitte Australiens zu sehen. Gretl las englische Romanciers wie William Somerset Maugham und John Galsworthy, Kathe bevorzugte australische Sagas, etwa Eleanor Darks »The Timeless Land«, das im frühen Sydney spielte, oder Xavier Herberts »Capricornia«, das ganz im Norden des Kontinents angesiedelt war. Als Gretl sie drängte, sich ebenfalls auf dem Hietzinger Friedhof beisetzen zu lassen, stimmte Kathe wegen der Familie zu, nicht wegen des Landes.
    Wie sehr sie sich Australien zugehörig fühlte, zeigte sich am deutlichsten Anfang der 1960er Jahre; sie suchte damals nach einer Möglichkeit, ihre Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, dass Australien Gretl, Anne und sie als Flüchtlinge aufgenommen hatte und so gut zu ihnen war. Man hatte international eben erst begonnen, das Werk Klimts neu zu bewerten, in den Vereinigten Staaten wurde es zunehmend gewürdigt; so hatten das Fogg Museum in Harvard, das Museum of Modern Art in New York und das Carnegie Museum of Art in Pittsburgh Bilder angekauft. Diese Neubewertung bedeutete, dass das Porträt Kathes wertvollster Besitz war. Es hatte für sie auch immer noch emotionale Bedeutung, da dadurch Hermine auf die sichtbarste Art in ihrem täglichen Leben präsent war. Nun bot es Kathe der Art Gallery of New South Wales, dem zweitältesten Kunstmuseum Australiens, als Geschenk an.
    Die Galerie befand sich an einem spektakulären Ort, mit Blick auf den Hafen von Sydney, alles andere aber war ärmlich und ungenügend, als Kathe an sie herantrat. Es gab einen Direktor und einen stellvertretenden Direktor, aber weder Kuratoren noch einen Archivar. Hinter der in den 1870er Jahren mit den Namen der berühmtesten europäischen Meister wie Michelangelo, Rembrandt, Rubens und Raffael geschmückten klassizistischen Sandsteinfassade befand sich eine winzige Schausammlung ohne ein einziges ihrer Werke. Die besten europäischen Bilder der Galerie stammten von britischen Künstlern des späten 19. Jahrhunderts, etwa von Frederic Lord Leighton, Sir Lawrence Alma-Tadema und Ford Madox Brown; sie waren in der Anfangszeit der Galerie angekauft worden. Ihre Stärke war der australische Bestand.
    »Am Ende bringen sie dich um«: So betitelte Hal Missingham, der damalige Direktor, den Bericht über sein Leben und Wirken in der Galerie. Missinghams zwölf Kapitel befassten sich mit den Prüfungen, Anfechtungen und gelegentlichen Triumphen seines Berufslebens, es ging um das Gebäude, um die Treuhänder, die Angestellten und Ausstellungen. Mit Ankäufen befasste er sich bemerkenswerterweise nicht. Der Mangel an Finanzen war ein Grund, doch Missingham versäumte es auch, das meiste aus seinen Möglichkeiten zu machen, um seine Sammlung durch Schenkungen von Philanthropen aufzustocken. Und so lehnte er Kathes Angebot ab; anscheinend betrachtete er das Porträt Hermines als Werk, das für eine australische Sammlung keinen Wert und für das australische

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