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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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es nicht anders. Sie entschied sich dafür, nur wenige Sachen zu behalten, die ihr besonders wichtig waren, etwa den Nickchinesen und die Goldmünzen, die Gretl bei der Flucht aus Wien als Knöpfe kaschiert hatte. Nach beinahe vierzig Jahren hatte Anne keine Ahnung, was genau in diesen Knöpfen war, und sie wusste deshalb auch nicht, wie wertvoll sie waren. Doch sie erkannte stillschweigend ihren symbolischen Wert, indem sie sie in der ursprünglichen Stoffhülle beließ, und so blieben sie auch, bis ich einen Knopf öffnete, als ich dieses Buch schrieb.
    Während Anne sich umsah, um den Markt für ihre Sammlung auszutesten, kontaktierte sie auch die Art Gallery of New South Wales, wo die erste Kuratorin für europäische Kunst, Renée Free, weit mehr Interesse zeigte als der frühere Direktor Hal Missingham. Anne trat auch an das Metropolitan Museum in New York heran, wo es hieß, die Wohnung enthalte »genug Material für zwei Museumsinstallationen«; man hätte gerne eine erworben. Sie verständigte die National Gallery of Victoria, dass Gretl und Kathe gestorben waren, was den neuen Chef der Abteilung für angewandte Kunst, Terry Lane, veranlasste, nach Sydney zu kommen, um zum ersten Mal seit 1972 die Sammlung zu begutachten und neuerlich sein Interesse zu unterstreichen.
    Anne hatte sich vorgenommen, zumindest zwei Bieter zu finden, sie wollte eine gewisse Vorstellung davon bekommen, was die Sammlung wert war. Während aber Kathe den Klimt der Art Gallery of New South Wales hatte geben wollen, wollte Anne »die Sammlung für die National Gallery of Victoria zusammenhalten«, damit die Hoffmann-Sachen in Australien bleiben konnten, und es machte ihr nichts aus, falls sie nicht den Bestpreis dafür erzielte. Als Wolfgang Fischer von Fischer Fine Art im Juni 6000 Pfund oder 8580 Dollar allein für die Möbel bot und die Galerie 25.000 Dollar für alles, inklusive Möbel, Teppiche, Silberwaren, Keramik, Glas, Lederwaren, Spitzen und Schmuck, nahm sie das Offert an.
    Sie machte auch das Angebot, der Galerie das Andri-Porträt von Erni, Gretl, Kathe und Lene zu überlassen, da sie weder mit dem Bild leben noch es verkaufen wollte und der Ansicht war, es solle bei der Sammlung bleiben. Der Kurator für Malerei der Galerie lehnte es ab, doch Terry Lane nahm es als ein Stück angewandter Kunst an, das erste Gemälde, das auf diese Art in die Galerie kam. Dadurch schufen Anne und er für diese die Möglichkeit, das übliche Schema der meisten Möbelpräsentationen in Museen zu durchbrechen, die sich üblicherweise nur mit Materialien, Design und Handwerkskunst befassen, nicht damit, wer diese Objekte benutzte und wie. Das Porträt ermöglichte es der Galerie, Gesichter neben die Dinge zu setzen und Familie und Möbel zusammenzuführen.
    Nach der langen Zeit der Spannung, in der er nicht gewusst hatte, ob Anne sich jemals entscheiden würde und wofür, war Lane nun außer sich vor Freude. Er wusste, dass die Sammlung der bedeutendste Ankauf war, den er als Kurator bisher getätigt hatte, vielleicht die er überhaupt je machen würde. Wie sehr er die globale und lokale Bedeutung der Sammlung einzuschätzen wusste, wird aus seinem Gutachten zum Ankauf an den Vorstand der Galerie deutlich. Er argumentierte, man müsse die Sammlung in ihrer Gesamtheit erwerben, wegen ihrer internationalen Bedeutung als Teil der Moderne und als »Denkmal für den Beitrag europäischer Einwanderer zur Kultur dieses Landes«.
    Die restlichen Bilder aus der Wohnung in Cremorne fanden in Australien nirgendwo Interesse. Wenn Anne sie verkaufen wollte, dann musste es in Übersee sein. Der naheliegende Weg, den Markt zu sondieren, bestand darin, sie in Wien zur Auktion anzubieten, doch Anne fürchtete, falls die Bilder nicht das Minimalgebot erzielten, würde das neu gegründete österreichische Bundesdenkmalamt die Ausfuhr untersagen. Auch so gab es einen Wettstreit um die Bilder zwischen Wolfgang Fischer und dem Wiener Augenarzt Rudolf Leopold, der die beste Privatsammlung von Werken Egon Schieles zusammengetragen hatte, weshalb man ihn allgemein wegen seiner Weitsicht als Sammler würdigte. 2001 erwarben die österreichische Regierung und die Österreichische Nationalbank gemeinsam seine Sammlung und gründeten in Wien ein Leopold Museum.
    Als sie ihn im August 1975 erstmals anrief, war Anne überrascht von Leopolds Gastfreundschaft; sie hatte ihm von Australien aus geschrieben, nachdem sie eine Besprechung seines ersten Buches über Schiele

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