Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
Entwicklungen produktionsreif zu machen. Auer war führend in diesem Wettlauf, da er der einzige Erfinder war, der beide Arten der Beleuchtung revolutionierte.
Anfangs baute er auf der Arbeit seines Lehrers auf, des deutschen Forschers Robert Bunsen. Dieser hatte 1855 eine große Erfindung gemacht, den Bunsenbrenner, der eine breite Palette an Möglichkeiten für Gas als Brennstoff eröffnete: Es wurde vor dem Anzünden mit Luft gemischt, was eine reine, sehr heiße Flamme ergab. 1885 machte dann Auer eine weitere bedeutende Entdeckung: Er tränkte eine Hülle – einen Strumpf – mit einer aus Seltenen Erden gewonnenen Lösung und fand heraus, dass diese imprägnierte Hülle, wenn er sie mit einem Bunsenbrenner entzündete, weißglühend wurde und ein weit helleres Licht ausstrahlte, zugleich aber viel weniger Brennstoff verbrauchte als die besten verfügbaren Gaslampen. Man nannte es Gasglühlicht, aber auch, wie den Bunsenbrenner, nach seinem Erfinder: auf Deutsch Auerlicht, auf Französisch Bec Auer, in der englischsprachigen Welt Welsbach mantle; Auer schien für englische Zungen zu schwierig auszusprechen.
Auers Erfindung erregte ungeheure Begeisterung. Die Londoner
Financial News
beschrieb den Glühstrumpf als das »Licht der Zukunft« und behauptete, zu einem Bruchteil der Kosten könne dieses Licht es mit der Helligkeit der elektrischen Beleuchtung aufnehmen; dazu sei es so sauber, dass man weißes Papier darüber halten könne, ohne dass es rußig würde. Doch solche Behauptungen waren voreilig: Die ersten Glühstrumpflampen waren teuer und zerbrechlich, das Licht bestenfalls schwach gelblich, schlimmstenfalls ein kaltes Grün; dazu war der Glühstrumpf über dem Brenner angebracht und warf deshalb einen Schatten auf die Umgebung. Als 1889 die Glühstrumpfproduktion in Europa und Nordamerika eingestellt wurde, drohten einige Investoren in Auers Gesellschaft, ihn wegen Vortäuschung falscher Tatsachen zu verklagen.
Nach zwei weiteren im Labor verbrachten Jahren entdeckte Auer, dass eine Mischung aus 99 Prozent Thorium und einem Prozent Ceroxyd unter Verwendung von noch weniger Brennstoff ein viel weißeres, länger andauerndes Licht erzeugte; diesmal war die Bezeichnung »Licht der Zukunft« zutreffend. So wie die Besitzer alter Gaslampen sie umgehend durch Gasglühstrumpflampen ersetzten, kamen nun viele Haushalte und Unternehmen, die bereits auf Elektrizität umgestiegen waren, wieder aufs Gas zurück und verwendeten den Glühstrumpf. Ende 1891 vertrieb Auers österreichische Firma den Gasglühstrumpf von einem Verkaufsraum in der Schleifmühlgasse im vierten Bezirk und von elf Filialen in anderen Städten des Habsburgerreiches aus. Die deutsche Gasglühstrumpffirma war am erfolgreichsten – im ersten Jahr betrug die Rendite 65 Prozent des eingesetzten Kapitals, im zweiten 130 Prozent –, doch erzielten auch die anderen Glühstrumpfunternehmen riesige Gewinne.
Sigmund Freud beneidete seinen Landsmann, betrachtete er sich doch ebenfalls als Forscher, der eine Reihe von Entdeckungen gemacht hatte, wenn auch über die menschliche Seele. Während Auer sich 1899 auf einem riesigen Grundstück in Kärnten ein Schloss erbauen ließ, lebte Freud eigenem Bekunden nach in Wien in der Furcht vor Armut. Er war immer noch ein kleiner Dozent an der Universität, und von seiner »Traumdeutung« sollten sich in den nächsten sechs Jahren nur 351 Stück verkaufen. Als er seine Vorstellungen 1901 in dem Essay »Über den Traum« zusammenfasste, nahm er ein Beispiel aus seiner eigenen Erfahrung, in dem Auer vorkam, um sein Konzept der Assoziation zu erklären. Freud erzählte, er sei im Traum eines Tages im Zug gefahren und habe einen Glaszylinder in der Hand gehalten, was ihn an den Gasglühstrumpf denken ließ. »... ich weiß bald«, schrieb Freud, »daß ich eine Erfindung machen möchte, die mich so reich und unabhängig werden läßt wie meinen Landsmann, den Dr. Auer von Welsbach, die seinige ...«
Das war natürlich ein immenser Anreiz für Firmen, Auers Patente zu missachten und Gasglühstrümpfe zu produzieren, die den seinen sehr ähnlich waren; daraus entstanden zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika und Australien. »Es kam die Zeit der Prozesse«, bemerkte Auer. Seine größte Niederlage erlebte er in Deutschland, wo das Patentamt die Neuheit seiner Einreichungen nicht erkannte und irrtümlich die meisten nicht akzeptierte; Auer versäumte es, dagegen Einspruch
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