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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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Moriz in das Familienunternehmen der Hamburgers, die zwar wegen der Konkurrenz größerer Firmen ihre Brauerei verkauft hatten, doch nach wie vor mit der Produktion von Malz, Hefe und Industriealkohol in Freudenthal und Milchpulver in den Nachbarstädten Fulnek und Hagenburg viel Geld verdienten. Als sich Hermines Vater Nathan 1906 mit 65 Jahren zurückzog, erwarben Moriz und Adolf je ein Fünftel des Unternehmens mit einer Belegschaft von 160 Personen. Moriz saß auch im Vorstand einer Eisenbahngesellschaft, die im Süden des Habsburgerreiches eine neue Linie zwischen Trient und Malè anlegte. Sein Hauptengagement aber lag in anderen Beleuchtungsunternehmen. Höchstwahrscheinlich verlor er gelegentlich bei Firmen, die in neue, fehlgeschlagene Technologien investierten, beträchtliche Summen, doch er erzielte auch spektakuläre Gewinne aus Firmen, die einige der erfolgreichsten neuen Beleuchtungsformen nach Österreich brachten.
    Das älteste dieser Unternehmen war die deutsche Firma Julius Pintsch, die in den 1860er Jahren mittels Druckgas die erste sichere, zuverlässige und leistungsfähige Beleuchtungsmethode für Eisenbahnwaggons entwickelt hatte. Die Nachfrage war zunächst bescheiden, Anfang der 1900er Jahre jedoch dominierte Pintschs Beleuchtung bereits den Weltmarkt. In der Zwischenzeit waren Mitglieder der Familie Pintsch in nahe Verbindung mit Auer und damit auch mit Moriz getreten; sie hatten in Auers erste österreichische Firma investiert und die Rechte erworben, die erste Version des Gasglühstrumpfs in Deutschland herzustellen; diese verkaufte sich zwar schlecht, doch unterstützte Pintsch Auer auch weiterhin. Als die Firma in Wien eine Zweigstelle errichtete, um die österreichischen Eisenbahnen zu beliefern, kaufte Moriz ein Drittel des Unternehmens, das bald 300 Mitarbeiter beschäftigte.
    Noch mehr engagierte er sich bei einer weiteren deutschen Firma, der Graetzin-Licht-Gesellschaft, die als erste die Erfindung des deutschen Forschers Otto Mannesmann wirtschaftlich nutzte: eine »umgedrehte« Gaslampe, bei der der Glühstrumpf unter statt über dem Brenner angebracht war. Der große Vorteil dieser Beleuchtungskörper, welche die Graetzin-Licht-Gesellschaft ab 1905 herstellte: Sie warfen keinen Schatten nach unten. Zudem waren sie effizienter als frühere Brenner und billig zu installieren, man musste bloß alte Geräte adaptieren und brauchte keine neuen zu kaufen. Als die Graetzin-Licht-Gesellschaft binnen kürzester Zeit gigantische Profite erzielte, gründete Moriz ihren österreichischen Zweig und behielt die Hälfte der Anteile für sich.
    Moriz investierte auch große Summen in Watt, eine Glühbirnenfabrikation mit einem Werk außerhalb von Wien und einem Geschäft in der Stadt. Manche der Watt-Birnen wurden für normale elektrische Beleuchtung verwendet, die Spezialität waren jedoch kleine Birnen, sogenannte Einwattbirnen. Zur gleichen Zeit, 1908, wurden auch kleine Trockenzellbatterien erfunden, und so kombinierte man beides und erzeugte die ersten praktikablen kleinen Taschenlampen, die umgehend großen Anklang fanden und die Nachfrage nach den Watt-Birnen ankurbelten.
    Moriz’ Engagement bei der Graetzin-Licht-Gesellschaft war angesichts der Tatsache besonders problematisch, dass er kaufmännischer Direktor und Vorstandsmitglied in der Auerschen Gasglühlichtgesellschaft war. Das wichtigste Produkt der Graetzin-Licht-Gesellschaft war zwar die hängende Gaslampe und jenes der Gasglühlichtgesellschaft der Glühstrumpf, doch beide Firmen verkauften alles, was für Gasbeleuchtung benötigt wurde. Eine Anzeige in der
Neuen Freien Presse
1910 mit der Überschrift »Graetzin erleuchtet Wien!« hob hervor, dass die Graetzin-Licht-Gesellschaft in der Monarchie über 300.000 Brenner, Lampen und Laternen in Gebrauch hatte – ein Erfolg, der Moriz auf Kosten der Gasglühlichtgesellschaft Reichtümer einbrachte. 1911 beschloss er, er könne nicht mehr bei beiden Firmen involviert bleiben, und entschied sich dafür, seine Anteile an der Graetzin-Licht-Gesellschaft zu behalten. Als Hermine und er in diesem Jahr das Grundstück in der Wohllebengasse kauften, geschah das nicht nur deshalb, weil sie nun endlich dazu in der Lage waren, sondern auch, weil sie die Wohnung in der Schleifmühlgasse verlassen mussten, nachdem Moriz sein Arbeitsverhältnis mit Auer beendet hatte.
    Sein Abgang von der Gasglühlichtgesellschaft war kompliziert, da alle drei Gallia-Brüder so lange Zeit mit Auer in enger

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