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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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hält sie Gretl, die auf einem Tischchen neben Erni sitzt. Auf dem dritten sitzt Hermine auf der Vordertreppe, Gretl auf einem Knie, Erni steht neben ihr. Ein viertes zeigt Hermine und Moriz, wie sie sich ihrer Elternschaft erfreuen. Eine strahlende Hermine schaukelt Gretl auf den Knien, während ein ungewöhnlich leger gekleideter Moriz in Jacke, Weste und Krawatte Erni auf den Schultern sitzen hat.

Ferdinand Andri, Die Gallia-Kinder. 1901. Der sechsjährige Erni nimmt als Ältester und einziger Sohn die dominante Stellung im Vordergrund ein. Hinten sitzt die fünfjährige Gretl. Die zweijährigen Zwillinge, rechts Käthe, links Lene, sind wie üblich beinahe nicht zu unterscheiden, sie tragen die gleiche Kleidung und den gleichen Schmuck. 3
    Die Art, wie Moriz seinen Geburtstag feierte, ist ebenfalls aufschlussreich. Statt mit Hermine allein oder zusammen mit anderen Erwachsenen auszugehen, entschied er sich, seine Kinder mitzunehmen. Zum ersten Mal geschah das an seinem 42. Geburtstag 1900, als er mit Hermine, dem fünfjährigen Erni und der vierjährigen Gretl den Zirkus Tivoli besuchte. Zwei Jahre später nahmen Hermine und er alle vier Kinder zu einer Ballettmatinee in die Hofoper mit, obwohl die Zwillinge erst vier waren. Ein Jahr darauf, an dem Wochenende, an dem Moriz und Hermine am Samstag die Privatbesichtigung der Klimt-Kollektive in der Secession besucht, die Klimt-Landschaft gekauft und im Volkstheater Franz von Schönthans »Maria Theresia« gesehen hatten, feierten sie seinen 44. Geburtstag am Sonntag, indem sie alle vier Kinder zu einer Matinee in die Hofoper mitnahmen.
    Die Familien Gallia und Hamburger standen einander ebenfalls sehr nahe; das zeigte sich nicht nur daran, dass Adolf Gallia seine Brüder in der Gasglühlichtgesellschaft unterbrachte und Moriz später dasselbe für Hermines Brüder tat, sondern auch daran, dass Familienmitglieder nach dem Umzug nach Wien mit ihren älteren Geschwistern zusammenlebten. Moriz teilte sich nach seiner Ankunft aus Bisenz eine Wohnung in der Innenstadt mit Adolf, und Hermines ältester Bruder Otto wohnte bei Moriz und Hermine in der Schleifmühlgasse, nachdem er Mitte der 1890er Jahre aus Freudenthal nach Wien gekommen war. Als ihr mittlerer Bruder Guido ein Jahrzehnt später eintraf, wohnte er ebenfalls über dem Glühstrumpf-Geschäft.
    1905 begann Hermine zu notieren, wer sie in die Oper, ins Theater und Konzert begleitete. Die Aufzeichnungen zeigen, dass sie meist lieber mit Familienmitgliedern als mit Freunden zusammen war. Zuerst ging sie mit ihrem Bruder Guido oder »Guidel« aus, wie sie ihn nannte, das nächste Mal mit »Dolfi« und »Idel« (Adolf und Ida) Gallia, beim vierten und fünften Mal, an zwei aufeinanderfolgenden Abenden nur eine Woche später, wieder mit den »Dolfis« – so der Sammelbegriff Hermines für Adolf und Ida – sowie mit Moriz’ Schwester Henrietta, die aus Budapest zu Besuch war. Der siebte Abend wurde mit Guidel und den Dolfis verbracht, sie waren, solange Hermine ihre Aufzeichnungen führte, die häufigsten Begleiter von ihr und Moriz.
    Das einzige Ehepaar, das den beiden beinahe ebenso oft Gesellschaft leistete, waren Elisabeth und Maximilian Luzzatto; sie erregten mein Interesse, weil sie in Hermines Opern-, Theater- und Konzertbuch so oft auftauchten. Von der Freundschaft Theobald Pollaks mit den Gallias hatte ich aus der Familienüberlieferung erfahren, von den Luzzattos hingegen wusste ich nichts. Als ich Hermines Tagebuch durcharbeitete, fand ich heraus, dass die beiden Moriz und Hermine viermal so oft begleitet hatten wie alle anderen Freunde. Zum ersten Mal war das 1905 der Fall gewesen, zum letzten Mal 1911, kurz bevor Hermine ihre Eintragungen beendet hatte. Dazwischen gingen die beiden Paare in einem Fall zweimal in vier Tagen und ein anderes Mal dreimal in vierzehn Tagen miteinander aus.
    Die Gallias und Luzzattos, so entdeckte ich, hatten vieles gemeinsam. Maximilian war ein erfolgreicher Unternehmer, der eine Maschinenfabrik im zehnten Bezirk besaß. Seine Frau und er waren ebenfalls Bewunderer Klimts und kauften eine seiner Landschaften; Elisabeth unterstützte und förderte zumindest zeitweise das beste moderne Wiener Design. Wie Moriz bekam auch Maximilian einen Titel verliehen, wenn auch einen italienischen statt eines österreichischen. Die Luzzattos hatten 1895 geheiratet, nur zwei Jahre nach Moriz und Hermine, und zur gleichen Zeit Kinder bekommen. Auch sie waren jüdischer Abstammung, aber vor

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