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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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eines Bildes für den Grundbestand der Modernen Galerie durch eine Verehrerin Freuds diesem die Professur an der Universität Wien eintrug (eine Prestigestellung, die keine Pflichten mit sich brachte), so verschaffte Moriz’ Ankauf ihm einen Titel. Wahrscheinlich war Carl Moll, der wichtigste Sponsorenakquisiteur der Secession, an die Regierung herangetreten, als sich herausstellte, dass Moriz die »Bösen Mütter« finanzieren würde. Eine solche Standeserhöhung war leicht zu argumentieren. Durch Moriz’ Tätigkeit für Auer in der Glühlichtgesellschaft nahm er eine Schlüsselrolle in der Entwicklung einer neuen Industrie ein, eines der Kriterien für Geschäftsleute, die einen Titel anstrebten. Da die »Bösen Mütter« so kostspielig waren, hatte er sich zudem als ernstzunehmender Philanthrop erwiesen. Höchstwahrscheinlich kostete das Gemälde mehr als 100.000 Kronen, etwa 760.000 Euro, das kam dem Beitrag Karl Wittgensteins für das Secessionsgebäude nahe. Falls das so war, dann ist Moriz’ Großzügigkeit bemerkenswert: Das Gehalt, das er als Kaufmännischer Direktor bezog, machte nicht einmal ein Zwanzigstel von Wittgensteins Vermögen aus.
    Der Preis der »Bösen Mütter« bedeutete, dass die kaiserliche Beamtenschaft rasch reagierte. Anfang oder Mitte Februar 1901 stellte Moriz das Geld für das Bild zur Verfügung, Ende des Monats waren die Dokumente mit der Empfehlung, Moriz zum Regierungsrat zu ernennen – eine Position, die keine Vollmachten oder Verantwortlichkeiten einschloss, jedoch bedeutendes Prestige einbrachte –, ausgefertigt. Als Franz Joseph sie Anfang März unterzeichnete, war seine Zustimmung nur noch eine Formalität. Nach einem Besuch Molls bei Moriz am 25. Februar bemerkte Alma Schindler, Moriz habe seinen Titel – »allerdings mit ungeheurem Geldverlust von Gallias Seite« – erhalten.
    Auch Hermine profitierte davon, war sie doch nun Frau Regierungsrat Gallia, so wie Moriz Herr Regierungsrat Gallia. Und wahrscheinlich auch Carl Moll: Er erhielt zur selben Zeit den Orden vom Eisernen Kreuz. Alma Schindler hielt fest, Moll »macht sich eigentlich nicht viel daraus, weiß eigentlich nicht,
wofür
er ihn bekommen hat«, doch der Zeitpunkt lässt vermuten, dass die Regierung ihn unter anderem dafür belohnte, dass er den Ankauf der »Bösen Mütter« in die Wege geleitet hatte. Alma hielt auch fest: »Unzählige Leute belästigen [Moll] mit Gratulationskarten.« Zweifellos war das bei Moriz noch stärker der Fall, hatte doch sein Titel mehr Prestige.
    Wie andere österreichische Institutionen, die von Mäzenatentum profitierten, gab die Secession normalerweise die Identität ihrer Sponsoren nicht preis. Als die
Neue Freie Presse
vom Ankauf der »Bösen Mütter« berichtete, schrieb sie, er sei durch »private Mittel« erfolgt. In
Ver Sacrum
äußerte sich die Secession auf ähnliche Weise. Moriz wusste, dass die Secession sein Geschenk implizit anerkennen und ihn zum Mitglied machen würde. Und er erwartete, dass das Geschenk seinen Status unter den Malern der Künstlervereinigung, die davon wussten, festigen und ihn als jemanden etablieren würde, dem man Respekt zollen und schmeicheln würde, selbst wenn man hinter seinem Rücken über ihn lästerte, weil er neureich war und die falsche Religion hatte.
    Hält man sich an Almas Tagebuch, dann war der Kauf der »Bösen Mütter« auch ausschlaggebend in ihrer Beziehung zu Hermine. Während Alma die Gallias bis zu Moriz’ Titelverleihung nicht erwähnt hatte, tat sie es nun regelmäßig. In diesem März kam sie zum Abendessen in die Wohnung der Familie in der Schleifmühlgasse, einige Tage später traf sie Hermine im Prater und nahm dann den Tee mit ihr in der Schleifmühlgasse, dann wieder sah sie Moriz und Hermine nach der Oper. Einige Monate später traf Alma Hermine wieder zum Tee, und Carl Moll, immer darauf aus, neue Aufträge und Ankäufe in die Wege zu leiten, lud Moriz, Hermine und Theobald Pollak zum Abendessen mit Josef Hoffmann und Koloman Moser.

Räume
    ICH BEGANN AN einem Vormittag im Wiener Museum für angewandte Kunst und stieß sofort auf eine Goldader. Gekommen war ich, um mir das Archiv der Wiener Werkstätte anzusehen, worin in unglaublicher Detailfülle verzeichnet stand, was die Werkstätte je produziert hatte. Die Modellbücher enthielten eine winzige Darstellung jedes einzelnen Objekts, dazu waren der Designer oder die Designerin, die Materialkosten, das Datum der Fertigstellung, der Verkaufspreis, die

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