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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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Mutter war eine Gallia. Diese Villa war eine von mehreren, die in Olmütz für führende Mitglieder der jüdischen Gemeinde erbaut worden waren; daraus entstand das bedeutendste Ensemble historistischer Architektur in Mähren. Wie es Eduards Position als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde entsprach, ließ er die erste und spektakulärste Villa errichten.
    Ende der 1890er Jahre gaben Adolf und Ida Gallia ihrem Verlangen nach den konventionellen Insignien von Reichtum und Macht Ausdruck und erwarben eine Villa in Baden mit zwei in Stein gehauenen Löwen an der Vordertreppe. 1902 beauftragten sie dann Gartner, ihre zwei Wohnhäuser in Wien zu errichten, darunter das, in dem sie selber wohnten, und zeigten dabei wieder denselben Geschmack. Das Haus war eines der vielen Ringstraßengebäude mit imposantem, freskengeschmücktem Foyer, einer großen Treppe, die in die besten Wohnungen im zweiten und dritten Stock, und einer zweiten Treppe, die in die höher gelegenen Etagen führte. Die klassizistische Fassade war ein Beispiel für das, was die Wiener Modernisten als architektonisches Verhängnis brandmarkten.
    Melanie Gallia, das älteste Kind von Moriz’ Bruder Wilhelm, pflegte ab 1902 – damals hatte sie Jakob Langer geheiratet, der zusammen mit seinem Bruder Leopold mehrere Wechselstuben betrieb – einen ganz anderen Lebensstil. Viele wohlhabende Wiener Ehepaare begannen ihr Eheleben in Wohnungen mit von Architekten gestalteten Räumen; meist wurde das von den Brauteltern als Teil der Aussteuer finanziert. Architekt der Familie Langer war Adolf Loos, der sich als Essayist einen Namen gemacht hatte, dem es aber nur mühsam gelang, Bauaufträge zu erhalten. Sein Werk vereinte zwei radikal verschiedene ästhetische Konzepte. Die meisten seiner Möbel waren streng und auf einfachen geometrischen Formen aufgebaut, andererseits kopierte er auch die kunstvollen Rokokostühle des englischen Möbeltischlers Thomas Chippendale aus dem 18. Jahrhundert, für ihn die bequemsten Stühle, die jemals hergestellt worden seien, unmöglich zu übertreffen, ideal für den zeitgenössischen Gebrauch und deshalb »modern«. 1901 entwarf Loos die Innenausstattung für die Wechselstuben der Gebrüder Langer, 1902 gestaltete er zwei Zimmer in der Wohnung von Jakob und Melanie, ein Jahr später einen Raum in der Wohnung Leopolds und einen weiteren in dessen Landhaus. Inzwischen gehörten die Langers zu den wichtigsten frühen Mäzenen von Loos.
    Loos und Josef Hoffmann hatten viel gemeinsam. Beide waren sie 1870 in Mähren geboren, sie hatten dieselbe Klasse im Gymnasium und dieselbe Technische Hochschule besucht. Beide orientierten sich an England als Inspirationsquelle, beschäftigten die besten Handwerker, wählten die edelsten Hölzer und benutzten zu Beginn des Jahrhunderts einfache Formen, bevor sie allmählich dekorativere Elemente einsetzten. Doch Loos war die Idee des Gesamtkunstwerks, auf die Inneneinrichtung angewandt, ein Gräuel; er argumentierte, die Reichen sollten gute Handwerker beschäftigen und nicht dadurch versuchen, ihre Persönlichkeit auszudrücken, dass ein Architekt in ihrem Auftrag Gegenstände des täglichen Gebrauchs für sie entwarf. Hoffmanns Objekte genügten Loos’ Nützlichkeitsansprüchen nicht. 1898 hatte er zwar zugegeben, hier habe man es »mit einem Künstler zu thun, der mit Hilfe seiner überquellenden Phantasie alten Traditionen ... erfolgreich an den Leib rückt«, doch er selbst stehe »im stärksten Gegensatz« zu Hoffmanns Richtung. Ein Jahrzehnt später lehnte er dessen Werk als »Fehler« ab. Als er 1910 sein polemisches »Ornament und Verbrechen« zunächst als Vortrag öffentlich machte, bezeichnete Loos Hoffmanns Arbeiten als »unerträglich«; Dekoration sei rückschrittlich und degeneriert, eine Verschwendung von Arbeitskraft, Materialien und Geld.
    Die Kluft zwischen Loos und Hoffmann war so groß, dass Familien, die sich ihre Wohnung von Loos einrichten ließen, angeblich nie Hoffmann einen Auftrag erteilten. Allgemein heißt es, dass die Intellektuellen zu Loos gingen, die Geschäftsleute zu Hoffmann; Loos habe den Sozialisten gefallen, Hoffmann den Liberalen und Konservativen. Dieser Ansicht nach wäre es Verrat gewesen, hätte irgendjemand nach einem Auftrag an Loos auch Hoffmann beschäftigt. Für Verwandte wie die Langers und die Gallias bestand da nicht viel Unterschied. Hermines Engagement für die Secession bedeutete jedenfalls, dass es ihr nie in den Sinn gekommen wäre, Loos

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