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Wohnraum auf Raedern

Wohnraum auf Raedern

Titel: Wohnraum auf Raedern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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mich eine freudige Überraschung, denn auch die NEP hat ihr Gutes: Die alten Weiber mit den löcherigen Kopftüchern hatte man alle hinau s geworfen. Die Spinnweben waren verschwunden, und da und dort leuchteten in den Auslagen elektrische Lampen, und Girlanden von Hosenträgern zogen sich hin.
    Das war im April 1922 .
     
     
    Drittes Panorama. In voller Fahrt
     
    An einem schwülen Juliabend stieg ich wieder auf das Dach des achtstöckigen Nierensee-Hauses. Die Lich t ketten des Boulevardringes leuchteten, radial verliefen Lichter bis an den Rand Moskaus. Der Staub reichte nicht bis hierher, wohl aber der Ton. Jetzt war er klar und deutlich: Moskau dröhnte, ein kräftiger Summton durchdrang das Innere der Stadt. Die Lichter, so schien es, zitterten, gelb und weiß leuchtete es in der schwar z blauen Nacht. Unten kreischten Straßenbahnen und klingelten, und dumpf, mit Unterbrechungen, wurden vom Boulevard Orchesterklänge heraufgetragen.
    Am höchsten Punkt schimmerte es hell. Ein Apparat surrte – auf der Leinwand war ein Gutshaus mit weißen Säulen zu sehen. Auf der unteren Plattform, welche die oberste umgab, raschelten im leichten Wind manchmal die weißen Servietten auf den Tischen, und Kellner im Frack eilten mit glänzenden Schüsseln umher. Die NEP-Leute waren auch aufs Dach geklettert. Unter mir waren vier plattgedrückte Köpfe mit niedriger Stirn und mächtigen Kiefern. Vier geschminkte Frauengesichter schwankten zwischen den Köpfen der NEP-Leute hin und her, der Tisch war voll von Blumen. Weiße, rote, blaue Rosen bedeckten den Tisch. Nur fünf Fleckchen waren freigelassen, da standen die Flaschen. Auf der Tribüne sang jemand im roten Hemd zusammen mit einem Fräulein in Volkstracht Couplets:
     
    Tschitscherin hat in Moskau
    Einen Notenpapierverlag!
     
    Kaskaden ergossen sich vom Klavier.
    »Bravo!« riefen die NEP-Leute und ließen die Gläser erklingen.
    »Noch einmal!«
    Ein plattgedrücktes Fräulein, das von oben gesehen keine Füße zu haben schien, glitt mit einer Vase voll Blumen an den Tisch.
    »Noch einmal!« schrie der NEP-Mann, stampfte mit den Füßen und legte den linken Arm um die Taille der Dame, während er mit der rechten eine Blume kaufte. Da in den Vasen auf dem Tisch kein Platz mehr war, steckte er sie der Dame genau dorthin, wo ihre Korsage aufhörte und ihr gelber Körper begann. Die Dame kicherte, zuckte leicht und warf dem NEP-Mann einen derart glühenden Blick zu, daß er lange nur trüb vor sich hinstarrte. Ein Kellner wuchs aus dem Asphalt und beugte sich nach vorn. Der NEP-Mann schaute nicht lange in die Speisekarte und bestellte. Der Kellner schwenkte seine Serviette, steckte seinen Kopf durch eine gläserne Öffnung und rief deutlich: »Achtmal Fleischsalat, zweimal Languette pikant, zwei Bee f steaks.«
    Von der Tribüne ertönte plötzlich stampfend ein verwegen fröhlicher Matrosentanz. Füße in Lacksch u hen und weiten Hosen tauchten auf und verschwanden.
    Ich stieg von der obersten Plattform auf die untere, dann durch die gläserne Tür und über die endlosen Nierensee-Treppen nach unten auf die Straße. Die Twerskaja empfing mich mit Lichtern, Autoscheinwe r fern, Füßescharren. Beim Strastnoj-Kloster stand die Menge wie eine schwarze Mauer, die Autos blinkten und machten einen Bogen um sie. Über der Menge hing eine Leinwand. Zitternd, in schwarze Punkte ze r fallend, verschwimmend und wieder aufleuchtend, zogen Bilder über die weiße Fläche. Ein Panzerzug mit offenen Plattformen fuhr schwankend dahin. Auf der Plattform luden zerlumpte Artilleristen mit Schleifen auf der Brust unter heftigem Gestikulieren ein G e schütz. Eine Handbewegung, das Geschütz erzitterte, und ein Rauchwölkchen flog davon.
    Auf der Twerskaja klingelten Straßenbahnen, die Fahrbahn war zu Haufen von Pflastersteinen aufg e wühlt. Teerküchen brannten. Moskau wurde Tag und Nacht repariert.
    Das war der schwüle Juli 1922 .
     
     
    Drittes Panorama. Jetzt
     
    Manchmal scheint es, als gäbe es in Moskau zwei Große Theater. Das eine sieht so aus: In der Dämmerung erglüht an der Fassade eine leuchtende Inschrift. Aus den Konsolen wachsen rote Fahnen. Der Umriß des herabgerissenen Adlers am Giebel verblaßt. Die grüne Quadriga wird schwarz, ihre Konturen zerfließen in der Dämmerung. Düsterkeit überzieht sie. Der Platz leert sich. Ketten starrer Figuren in Pelzen über der Uniform ziehen auf, behelmt, die Bajonette aufgepflanzt. In den Seitengassen stehen Berittene mit

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