Wohnraum auf Raedern
plötzlich kommt der Leiter eines Waisenha u ses um die Ecke. Eine Idealfigur. Er ist zu beschreiben. Nun, sagen wir, er sieht so aus: jung, blaue Augen. Glattrasiert? Gut, glattrasiert. Oder mit einem kleinen Bart. Ein Bariton. Und sagt: – Junge, Junge. Und was weiter? Junge, Junge, ach, Junge, Junge ...
»Aber in einer Schürze«, sagte plötzlich mein Hirn unter der Mütze.
»Wer ist in einer Schürze?« fragte ich verwundert das Hirn.
»Der da, dein Waisenhaus.«
»Trottel«, antwortete ich dem Hirn.
»Bist selbst ein Trottel. Untalentiert«, antwortete mir das Hirn, »wir werden schon sehen, was du heute essen wirst, wenn du nicht sofort eine Erzählung schreibst. Graphoman du!«
Nicht in einer Schürze, sondern in einem Arbeit s mantel ...
»Warum ist er im Arbeitsmantel, antworte, Kretin?« fragte das Hirn.
»Nun, nehmen wir an, er hat gerade gearbeitet, zum Beispiel einem kranken Mädchen den Fuß verbunden, und ist auf die Straße gegangen, um sich eine Schachtel Zigaretten ›Trust‹ zu kaufen. Dabei kann man gleich die Verkäuferin beschreiben. Und da sagt er: ›Junge, Junge ...‹ Und nachdem er das gesagt hat (das schreibe ich später, was er sagt), nimmt er den Jungen an der Hand und führt ihn ins Waisenhaus. Und da ist Petjka – (den Jungen nennen wir Petjka, solche halbverhu n gerten Jungen heißen immer Petjka) – schon im Wa i senhaus, er erzählt nicht mehr von Komarow, sondern lernt lesen. Seine Wangen sind rund, und die Geschic h te heißt ›Petjka ist gerettet‹. Die Zeitschriften lieben solche Titel.«
»Eine miese Geschichte«, hämmerte es fröhlich unter der Mütze, »um so mehr, als wir das schon irgendwo gelesen haben!«
»Ruhe, ich gehe zugrunde!« befahl ich dem Hirn und öffnete die Augen.
Vor mir war kein Admiral und kein Schwarzmeerk o sak, und meine Uhr war auch nicht mehr in der Hose n tasche.
Ich überquerte die Straße und ging zu einem Polizi s ten mit hocherhobenem Stab.
»Mir ist gerade die Uhr gestohlen worden«, sagte ich.
»Wer war’s?« fragte er.
»Das weiß ich nicht«, antwortete ich.
»Nun, dann ist sie weg«, sagte der Polizist.
Diese seine Worte weckten in mir den Wunsch nach Selterswasser.
»Was kostet ein Glas Selterswasser?« fragte ich bei e i nem Stand die Verkäuferin.
» 10 Kopeken«, antwortete sie. Ich hatte sie absich t lich gefragt, um zu erfahren, ob es mir um die wegg e worfenen 9 Kopeken leid tun solle. Ich war erfreut, und der Gedanke, daß es mir nicht leid tun mußte, belebte mich.
»Nehmen wir an – ein Polizist. Und da geht ein Bürger auf ihn zu ...«
»Ja bitte?« erkundigte sich das Hirn.
»Also er sagt: mir hat man die Uhr geklaut. Und der Polizist zieht den Revolver heraus und schreit: ›Halt!! ... Du hast sie gestohlen, Gauner.‹ Er pfeift. Alle rennen hinter dem rückfälligen Dieb her. Jemand fällt hin. Schüsse.«
»Fertig?« fragten die von der Hitze geschwollenen Windungen im Kopf.
»Fertig.«
»Hervorragend, wirklich hervorragend«, lachte der Kopf und begann zu ticken wie eine Uhr, »nur nimmt diese Geschichte niemand, weil keine Ideologie dari n nen ist. All das, das heißt schreien, Revolver ziehen, pfeifen und laufen, kann auch ein vorrevolutionärer Wachtposten. Stimmt’s? Genosse Benvenuto Cellini.«
Die Sache ist die, daß Benvenuto Cellini mein Pse u donym ist. Ich habe es mir vor fünf Tagen bei genauso einer Hitze ausgedacht. Und allen Kassierern in der Redaktion hat es aus irgendeinem Grund wahnsinnig gefallen. Sie alle notierten »Benvenuto Cellini« in der Vorschußliste neben meinem Namen. Fünfzig Rubel, zum Beispiel, für B. Cellini.
»Oder so: der Kutscher No. 2579 . Ein Fahrgast hat eine Aktentasche mit wichtigen Papieren aus dem Z u ckertrust vergessen. Und der ehrliche Kutscher bringt die Aktentasche in den Zuckertrust, und die Zuckeri n dustrie macht Fortschritte, der klassenbewußte Ku t scher aber wird belohnt.«
»Diesen Kutscher kennen wir«, sagte wütend das en t zündete Hirn, »und zwar aus den Beilagen zur Mar x schen ›Flur‹. Etwa fünfmal sind wir ihm dort begegnet, in verschiedenen Schrifttypen, nur arbeitete der Fah r gast damals nicht im Zuckertrust, sondern im Inne n ministerium. Schweig still! Da ist schon die Redaktion. Jetzt werden wir sehen, was du sagen wirst. Wo ist die Erzählung?«
Über die wacklige Stiege ging ich in die Redaktion, mimte gute Laune und sang laut:
Senja ist schuld dran!
Und die Ziegel sind schuld,
Daß ich die Ziegelei so
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