Wohnraum auf Raedern
wertvolle Papier aus der Tasche.
Der Alte beugte sich darüber, während ich die ganze Zeit von dem Gedanken gequält wurde, wer das nur sein konnte? Am meisten ähnelte er einem Emile Zola ohne Bart.
Der Junge blickte dem Alten über die Schulter und las ebenfalls. Als sie zu Ende waren, blickten sie mich irgendwie verwirrt und achtungsvoll an.
Ich sagte. »Ich hätte gern eine Stelle in der Literatur.«
Der Junge rief begeistert: »Großartig! ... Wissen Sie ...«
Er ergriff den Alten beim Arm, sie unterhielten sich flüsternd.
Der Alte drehte sich auf dem Absatz herum und nahm eine Feder vom Tisch. Der Junge hingegen sagte schnell: »Schreiben Sie ein Gesuch.«
Das Gesuch hatte ich in der Tasche. Ich reichte es ihm. Der Alte setzte schwungvoll die Feder an. Sie machte: krach! – tat einen Sprung und zerriß das P a pier. Er tauchte sie ins Tintenfaß. Aber das war trocken.
»Haben Sie vielleicht einen Bleistift?«
Ich zog einen Bleistift heraus, und der Leiter schrieb mit schräger Schrift: »Ersuche um Anstellung als Sekr e tär für Literatur.« Unterschrift.
Ich riß den Mund auf und starrte einige Sekunden auf die schwungvolle Schrift.
Der Junge zog mich am Ärmel: »Gehen Sie nach oben, solange er noch da ist! Schneller!«
Pfeilschnell sauste ich nach oben. Stürzte durch die Tür, raste durch ein Zimmer mit Frauen und trat ins Arbeitszimmer. Der Mann im Arbeitszimmer nahm mein Papier und notierte: Anst. Sekr. Buchstabe. Hä k chen. Er gähnte und sagte: »Hinunter.«
Wie durch einen Nebel eilte ich wieder hinunter. E i ne Schreibmaschine blitzte auf. Kein Baß, sondern ein silbriger Sopran sagte: »Meierhold ... Theateroktober ...«
Der Junge lärmte um den Alten herum und meinte lachend: »Angestellt? Wunderbar! Wir werden alles besorgen! Alles!« Wieder klopfte er mir auf die Schulter: »Kopf hoch! Du wirst alles kriegen.«
Ich konnte Vertraulichkeiten schon als Kind nicht leiden und war seit meiner Kindheit ihr Opfer. All diese Ereignisse jedoch hatten mich dermaßen durcheina n dergebracht, daß ich nur mit schwacher Stimme he r vorbrachte: »Aber Tische und Stühle ... und schließlich Tinte! ...«
Der Junge rief hitzig: »Kommt! Bravo! Alles kommt!« Und zum Alten gewandt sagte er, mit den Augen auf mich deutend: »Ein tüchtiger Bursche! Wie er das gleich gesagt hat über die Tische. Er wird uns alles in Ordnung bringen!«
Anst. Sekr. Mein Gott! Literatur. In Moskau. Maxim Gorkij ... Nachtasyl ... Scheherezade ... die Mutter.
Der Junge packte den Sack, breitete auf dem Tisch eine Zeitung aus und schüttete etwa fünf Pfund Erbsen heraus.
»Das ist für Sie. Eine Viertelration.«
Ich weiß bestimmt: so leicht
findet sich keine Stadt, die Moskau gleicht.
Vierzigmal vierzig
Erstes Panorama. Nackte Zeiten
Das erste Panorama lag in dichtem Dunkel, denn ich kam in der Nacht in Moskau an. Das war Ende Se p tember 1921 . Bis an mein Grab werde ich die blendende Laterne am Brjansker Bahnhof und die zweite Laterne an der Dorogomilow-Brücke nicht vergessen, die den Weg in die geliebte Stadt wiesen. Denn, was immer geschieht und was immer man sagt, Moskau ist die Mutter, Moskau ist die Heimatstadt. Also, erstes Pan o rama: ein Klumpen Finsternis und drei Lichter.
Dann zeigte Moskau sich mir im Tageslicht, zuerst im verschwommenen Herbstnebel, an den folgenden Tagen im beißenden Frost. Weiße Tage und ein Ma n tel aus grobem Drapé. Drapé, Drapé. Oh, verfluchter Sack. Ich kann nicht beschreiben, wie sehr ich fror. Fror und herumlief. Herumlief und fror.
Jetzt, da sich alle mit Fett und Phosphor aufgepä p pelt haben, beginnen die Dichter zu schreiben, daß das heroische Zeiten waren. Ich erkläre kategorisch, daß ich kein Held bin. Das liegt nicht in meiner Natur. Ich bin ein gewöhnlicher Mensch, geboren, um herumzukri e chen, und während ich in Moskau herumkroch, starb ich fast vor Hunger. Niemand wollte mich ernähren. Alle Bourgeois hatten Ketten an ihren Türen vorgelegt und steckten gefälschte Mandate und Bestätigungen durch den Spalt heraus. Sie umwickelten sich mit Mandaten wie mit Decken und überlebten herrlich Hunger und Kälte, die Invasion der »Wohnkomiteeve r treter«, die Fuhrwerksteuer und ähnliche Schicksal s schläge. Ihre Herzen wurden ebenso hart wie die Brö t chen, die damals unter der Uhr an der Ecke der Sadowaja und Twerskaja verkauft wurden.
Zu den Helden gehen war sowieso sinnlos. Die He l den hatten selbst keinen roten Heller und
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