Wolf Shadow 01 - Wilks, E: Wolf Shadow 01
vorstellen, was ihre Mutter dazu sagen würde.
Vielleicht war die ganze Sache aber auch so schnell vorbei, dass sie es gar nicht beichten musste.
„Entschuldige, was hast du gesagt?“, fragte sie, als sie merkte, dass ihre Mutter schwieg. „Ich war gerade mit meinen Gedanken woanders.“
„Ich habe dich an deine Anprobe erinnert und dich gefragt, ob du schon einen Begleiter gefunden hast.“
Einen Begleiter?
„Für das Probeessen“, ergänzte Julia, die ihre Gedanken gelesen hatte, wie nur Mütter es können. „Du vertröstest mich immer wieder! Hast du denn wenigstens schon versucht, einen Begleiter zu finden?“
„Nein, aber …“
„Das ist ein feierlicher, hochoffizieller Anlass, Lily. Da kannst du nicht ohne Begleiter aufkreuzen. Dein Vater und ich würden das Gesicht verlieren.“
Das Gesichtsverlustargument duldete keinen Widerspruch. „In Ordnung. Kein Problem. Ich bringe einen Begleiter mit.“
„Wen? Hast du jemanden gefunden?“
Lily sah Rule an. Die Hysterie war wieder da. „Allerdings, das habe ich.“
Rule musste eigentlich eine Pressekonferenz geben. Und er brauchte etwas zum Anziehen. Nach kurzer Diskussion wurde beschlossen, dass Croft sich um beides kümmern würde. Er musste die Presse ohnehin über die neue Rolle des FBI bei den Ermittlungen informieren, sonst spannen sich die Journalisten nur irgendetwas zusammen, wie Croft trocken bemerkte. Er würde ihnen sagen, dass Rule das FBI „bei seinen Nachforschungen unterstütze“ und man ihn gebeten habe, zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit der Presse zu sprechen.
Rule konnte nicht einmal selbst losfahren, um seine Kleider zu holen. Nicht, wenn Lily ihn nicht begleitete. Sie wussten nicht, wie weit sie sich voneinander entfernen konnten, aber seine Wohnung war mit Sicherheit zu weit weg.
Lily machte noch eine Kanne Kaffee. Rule stand in der Tür – in der Küche war einfach nicht genug Platz für zwei – und aß einen Apfel. Etwas Besseres hatte sie ihm als Frühstück nicht anbieten können – das Brot im Schrank war schimmelig gewesen.
Sie stellte die Kanne ab. „Ist es für dich genauso komisch wie für mich, dass wir jetzt die ganze Zeit aneinanderkleben?“
„Es ist irritierend. Ich hätte nie gedacht, dass mir das jemals passieren würde.“
„Du hast gesagt, es kommt nur selten vor.“
„Ja, und …“, er zögerte, „… die dame hat noch nie einen Lu Nuncio mit einer Auserwählten bedacht. Ich kenne das höchstens aus den alten Geschichten, und das sind weitgehend Mythen der Vergangenheit. So etwas ist noch nie dagewesen.“
„Dann hat dich die Vergangenheit jetzt wohl eingeholt. Du bist ja genauso überrumpelt worden wie ich.“
„Stimmt, aber ich wusste zumindest, dass es so etwas überhaupt gibt.“ Wieder eine Pause. „Mein Bruder hatte eine Auserwählte.“
Hatte? Sie sah ihn an. „Welcher Bruder?“
„Benedict. Aber es ist gründlich schiefgegangen.“
Sie betrachtete seine plötzlich verschlossene Miene. „Du willst nicht darüber reden.“
„Ich möchte aus der Tragödie meines Bruders kein Lehrstück machen. Obwohl sie ein gutes abgäbe.“ Er kam in die Küche. „Wo ist der Mülleimer?“
Ihre Haut kribbelte, als er näher kam. Ihr Herz schlug schneller, und sie wollte ihn berühren. Wollte ihre Hand auf seine breite Brust legen, um festzustellen, ob sich auch sein Puls beschleunigt hatte.
Sie trat zurück. „Organischer Abfall kommt in den kleinen Keramikbehälter unter der Spüle, zum Kompostieren.“
Er bückte sich und entsorgte seinen Apfelbutzen. „Mülltrennung zum Wohle der Umwelt?“
„Ich bin Gärtnerin. Da bin ich natürlich scharf auf Kompost.“
Ein Lächeln umspielte plötzlich seine Mundwinkel. „Wenn ich mich recht erinnere, bist du auch noch auf andere Sachen scharf.“
Die Hitze stieg ihr ins Gesicht – und begann auch in tieferen Regionen zu pulsieren. Das machte sie wütend. Sie wendete sich ab. „Wir haben zu arbeiten. Karonski wartet.“
„Lily.“ Er hielt sie fest, als sie die Küche verlassen wollte. „Kämpf nicht zu heftig dagegen an! Tiere, die sich das Bein abnagen, um sich aus einer Falle zu befreien, verbluten meist.“
„Was erwartest du? Ich kenne dich erst seit fünf Tagen, und jetzt sind wir plötzlich für den Rest des Lebens aneinandergebunden. Wie soll ich damit klarkommen?“ Sie machte sich von ihm los. „Setz mich nicht unter Druck!“
Karonski hatte Papiere und Ordner auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet. „Wenn die
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