Wolf Shadow 01 - Wilks, E: Wolf Shadow 01
Tötungsdelikt im Zusammenhang mit Drogen, und das war auch kein Zuhälter, der einen zahlungsunwilligen Freier bestraft hat. Das ist eigentlich gar kein richtiger Mordfall.“
Drei Jahre zuvor wäre ein solcher Fall noch an die X-Einheit gegangen. Nun war das Morddezernat dafür zuständig. „Die Gerichte sehen das anders.“
„Und wir wissen ja, wie clever unsere gefühlsduseligen Richter sind! Ihretwegen müssen wir die Bestien jetzt wie Menschen behandeln. Die Schweinerei zu Ihren Füßen zeigt ja, was für eine großartige Idee das ist!“
„Ich habe schon schlimmere Dinge gesehen, die Menschen anderen Menschen angetan haben. Und wie dem auch sei, der Tatort darf auf keinen Fall verunreinigt werden!“
„Klar doch, Detective.“ Phillips grinste spöttisch und wandte sich zum Gehen. Dann hielt er jedoch noch einmal inne und nahm den Zahnstocher aus dem Mund. Als er Lily in die Augen sah, waren Spott und Verärgerung aus seinem Blick verschwunden. „Noch ein Rat von jemandem, der fünfzehn Jahre bei der X-Einheit war: Nennen Sie sie, wie Sie wollen, aber setzen Sie Lupi nicht mit Menschen gleich. Man kann ihnen kaum etwas anhaben, sie sind schneller als wir, sie sind stärker, und wir scheinen ihnen ziemlich gut zu schmecken.“
„Dieser hier hat sich offenbar nicht viel Zeit zum Genießen gelassen.“
Phillips zuckte mit den Schultern. „Er wurde gestört. Und denken Sie immer daran, dass Lupi rechtlich gesehen nur dann Menschen sind, wenn sie auf zwei Beinen herumlaufen. Wenn Sie auf einen Vierbeiner treffen, nehmen Sie ihn nicht fest. Erschießen Sie ihn auf der Stelle!“ Er schnippte seinen Zahnstocher auf den Boden. „Und zielen Sie auf das Gehirn!“
„Ich werde es mir merken. Heben Sie den Zahnstocher auf!“
„Was?“
„Der Zahnstocher! Er hat nichts am Tatort verloren. Heben Sie ihn auf!“
Phillips bückte sich mürrisch, schnappte sich den Zahnstocher und murmelte im Weggehen etwas von „Haare auf den Zähnen“.
„Einen Freund hast du da aber nicht gerade gewonnen“, bemerkte O’Brien fröhlich.
„Ich bin auch ganz unglücklich darüber.“ Lily sah zur Straße. Das Auto, das hinter dem Krankenwagen angehalten hatte, war vom Büro des Coroners.
Sie musste sich beeilen. „Wie es aussieht, wird das Opfer schon bald offiziell für tot erklärt. Bist du mit den Fotos fertig?“
„Willst du es dir noch genauer ansehen?“
Seine Frage klang ganz harmlos und beiläufig, aber es war klar, was er meinte. O’Brien arbeitete schon lange genug mit ihr zusammen, um zu wissen, dass es bei ihr nicht auf das Sehen ankam, doch das sagte er natürlich nicht. Sensitive waren zwar bei der Polizei nicht verboten, aber es konnte durch sie zu Komplikationen kommen. Offiziell praktizierte die Behörde im Umgang mit diesen Dingen eine Politik des stillschweigenden Einverständnisses.
Dabei ging es nicht allein um Vorurteile. Nicht reproduzierbare Erkenntnisse waren vor Gericht als Beweismaterial nicht zulässig, und ein guter Strafverteidiger konnte die Zeugenaussage eines Polizeibeamten in Fetzen reißen, wenn den Ermittlungen auch nur ein Hauch des Übernatürlichen anhaftete.
Aber Cops waren in der Regel pragmatisch. Inoffiziell galt die Devise, dass man tat, was immer nötig war, um einen Übeltäter zu fassen, auch wenn man es unter der Hand tun musste. Und genau aus diesem Grund war Lily nun in diesem Elendsviertel und musste eine Leiche untersuchen, statt auf der Verlobungsparty ihrer Schwester die Annäherungsversuche von Henry Chen abzuwehren. Was wiederum bewies, dass man allem etwas Positives abgewinnen konnte, wenn man nur wollte. Lily sah O’Brien in die Augen und nickte.
„Mach nur“, sagte er und ging, während er an seiner Kamera herumhantierte, ein paar Schritte zur Seite, um sich zwischen sie und die Schaulustigen hinter dem Zaun zu stellen.
Er war zwar nicht stämmig genug, um den Leuten vollständig die Sicht zu versperren, aber er erschwerte es ihnen, genau zu erkennen, was sie tat. Dafür war Lily ihm dankbar. Sie stellte ihren Rucksack ab und kniete sich vor die Leiche, wobei sie darauf achtete, dass ihr Rock nicht zu weit hochrutschte. Dann ergriff sie die Hand des Toten.
Sie war schlaff. Noch keine Totenstarre. Wächserne Haut. Die Hand war blau angelaufen, und das Gesicht hatte eine leicht violette Färbung. Kaum Leichenflecken sichtbar. Alles nur Anhaltspunkte, aber sie deuteten darauf hin, dass der Mann noch nicht lange tot gewesen war, als die Leitstelle
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