Wolf Shadow Bd. 7 - Verbotene Pfade
Daumen kreisten nun rückwärts und drückten fester zu. Sie fanden die Verspannung in ihrem Nacken und lösten sie. »Willst du wirklich Gedankensprache lernen? Zuerst warst du dir nicht sicher, dass es die Mühe wert ist. Und wenn dadurch solche Ängste hochkommen … «
Sie schnaubte. »Das sagt der Mann, der in ein Hochhaus gezogen ist, weil er so gezwungen ist, jeden Tag mit dem Aufzug zu fahren.«
Er lächelte schwach. »Jetzt erst recht, was?«
»So ungefähr. Aber jetzt habe ich eine Woche frei. Sie versammeln sich wieder zum Singen. Äh … ich darf mit niemandem außer dir darüber sprechen, und du darfst es keinem weitersagen.« Eigentlich waren Drachen Einzelgänger, aber in unregelmäßigen Abständen kamen sie zusammen, um zu singen. Lily war davon überzeugt, dass in dieser Welt sie und Rule die Einzigen waren, die davon wussten. Außer Großmutter natürlich. »Da fällt mir ein: Während Sam fort ist, fahren Großmutter und Li Qin nach Disneyland.«
Er grinste. »Da wäre ich gern dabei.«
»Sie liebt Disneyland. Früher ist sie mit mir und meiner Schwester jedes Jahr dorthin gefahren. Brennen da gerade die Burger an?«
»Mist.« Er ließ sie los und drehte sich hastig zum Herd.
Schritte stampften durch den Flur. »Ich bin angezogen!«, rief Toby. »Sind die Burger fertig? Ich habe ein bisschen länger gebraucht, weil ich noch Harry streicheln musste. Er hat sich einsam gefühlt.«
Harry war Dirty Harry, Lilys Kater. Obwohl sich die Lage zwischen ihm und Rule entspannt hatte – was vor allem daran lag, dass Rule ihm regelmäßig Schinken zusteckte – , trug Harry ihm gegenüber weiterhin eine verächtliche Toleranz zur Schau.
Aber Toby liebte er.
Warum, wusste niemand. Laut Rule roch Toby noch nicht nach Wolf, doch es lag nicht nur am Geruch, dass Harry Rule nicht mochte. Vermutlich war es noch nicht einmal der Hauptgrund. Harry war einfach kein freundliches Tier. Um ihn zum Tierarzt zu bringen, musste er ruhiggestellt werden. Die Bodyguards griff er an, wann immer er dazu Gelegenheit hatte. Und Lilys Familie konnte er nicht ausstehen – nun ja, abgesehen von Li Qin, aber Li Qin musste man einfach gernhaben.
Lily hatte sich Sorgen gemacht, ob der Kater und der Junge sich vertragen würden. Toby war ein normaler neunjähriger Junge, der rannte, sprang und schrie, kurz alles tat, was einem misstrauischen, auf sein Revier bedachten Kater missfiel. Sie war sich sicher gewesen, dass Harry ihn kratzen, nach ihm schlagen und ihn verachten würde.
Aber von dem Moment an, als Harry an Tobys ausgestreckter Hand geschnüffelt hatte, war er ihm treu ergeben. Wenn er Toby sah, schnurrte er. Er schlief bei Toby im Bett. Er ließ sich sogar herab, mit dem Spielzeug zu spielen, das Toby ihm unbedingt hatte kaufen wollen.
Und Toby hatte beschlossen, nun nicht sofort einen Hund zu kaufen, obwohl er seit Ewigkeiten von nichts anderem sprach. Es wäre nicht richtig, sagte er. Harry wäre furchtbar traurig.
Vor allem würde Harry dem Neuen nach dem Leben trachten, dachte Lily. Irgendwo da draußen würde ein Hund ein langes, narbenloses Leben leben, weil Toby seine Träume von einem Hund fürs Erste begraben hatte.
Lily holte ein paar Teller aus dem Oberschrank und stellte sie neben Rule auf die Arbeitsplatte. Dann ging sie zum Kühlschrank. Toby schändete seine Hamburger nicht mit frischem Gemüse, aber an den Soßen bediente er sich stets reichlich.
»Die Frikadellen sind fertig«, sagte Rule. »Holst du bitte die Brötchen raus, Toby?«
»Klar!« Toby hüpfte zur Speisekammer – eine Speisekammer war ein ganz ungewohnter Luxus für Lily – und kam mit der Packung wieder zum Vorschein. »Hast du es ihr gesagt?«, wollte er wissen. Sein Blick flog von Rule zu Lily. »Sie sieht gar nicht aus, als würde sie sich freuen.«
»Ich habe auf dich gewartet.« Rule nahm ihm die Brötchen ab. »Es scheint so, als müssten wir Toby erlauben, nächsten Mittwoch lange aufzubleiben. So lange zumindest, dass er The Daily Show sehen kann.«
Sie sah von Tobys grinsendem Gesicht zu Rules eher verhaltener, selbstzufriedener Miene. »Du bist bei Jon Stewart eingeladen?«
Toby konnte nicht mehr an sich halten. »Ist das nicht obercool?«, rief er. »Er wird mit Jon Stewart reden!«
»Ja, das ist cool«, stimmte sie ihm zu. »Aber ist das nicht … Ich meine, Jon Stewart versucht seine Gäste nicht reinzulegen, so wie andere es tun, aber er ist immer auf einen Lacher aus. Ist das nicht … « Sie brach ab.
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