Wolf Shadow Bd. 7 - Verbotene Pfade
orthopädische Chirurg war eine Bohnenstange – fast drei Zentimeter größer als Rule und mindestens zwanzig Kilo leichter. Sein braunes Haar wurde am Scheitel dünner; seine Augen hatten diese seltsame blassblaue Farbe, die neben den schwarzen Pupillen fast verschwindet. Seine Lippen waren dünn und so hell, dass sie, ebenso wie seine Iris, beinahe unsichtbar waren. Er stank nach desinfizierender Seife mit einem leichten Hauch von Tabak. Sein Name war Robert Stanton.
Rule spürte sofort eine Abneigung gegen den Mann, aber laut Nettie war er eine Kapazität auf seinem Gebiet, und das war alles, was zählte.
»… erholen sich gut von dem Eingriff«, sagte Stanton gerade, »aber ich kann noch nicht genau sagen, wann Sie entlassen werden können. Sicher nicht, bevor die Hauttransplantation erfolgt ist, und ich habe Ihnen ja erklärt, warum die Wunde ein paar Tage offen bleiben muss. Dr. Cummings wird diesen Eingriff vornehmen. Hat er mit Ihnen gesprochen?«
Das Kopfteil von Lilys Krankenhausbett war höher gestellt worden, damit sie aufrecht sitzen konnte. Sie sah erschöpft aus und leidend und blass und verärgert. »Ja. Brille mit Goldrand, dunkle Haut, tiefe Stimme. Redet langsam.«
Der plastische Chirurg war schon vor sieben Uhr heute Morgen zur Visite erschienen, ungefähr zur selben Zeit, als Rule einen Anruf von seinem Vater erhalten hatte. Bisher hatte Rule Lily noch nichts vom Inhalt des Gesprächs berichten können. Erst war die Schwester gekommen, um die Schmerzmittel zu bringen – von denen Lily nur die Hälfte geschluckt hatte – , dann sofort der Operateur.
»Äh … ja«, sagte Stanton, »das ist Dr. Cummings. Sie können ihm vertrauen. Und jetzt, bevor ich gehe, muss ich mit Ihnen noch über den weiteren Verlauf reden. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass es unwahrscheinlich ist, dass die volle Funktion Ihres Arms wiederhergestellt wird.«
Lily riss den Kopf zurück. Sie zog die Brauen zusammen. »Warum nicht? Sie haben gesagt, der Eingriff wäre gut verlaufen.«
»Das stimmt auch. Wenn keine Infektion auftritt, erwarte ich, dass der Knochen so weit zusammenwächst, dass er in sechs bis acht Wochen eingeschränkt belastbar ist. In dieser Zeit wird er nicht vollständig verheilen, das müssen Sie verstehen. Aber Sie haben Muskelgewebe verloren, und die Nerven wurden beschädigt. Ich glaube nicht, dass der Schaden so groß war, dass keine Regeneration möglich ist, aber das ist ein langsamer Prozess, und der Erfolg ist schwer vorherzusagen.«
»Dann schätzen Sie es eben. Wird er zu achtzig Prozent wiederhergestellt? Sechzig? Neunzig?«
»So etwas lässt sich nicht schätzen. Sie werden den Arm wieder benutzen können. Wenn Sie die Therapie konsequent durchführen, werden Sie ihn vermutlich fast vollständig wieder einsetzen können, aber er wird immer schwächer sein als vorher. Ich kann nicht sagen, wie viel schwächer. Der Unterschied kann deutlich sein. Oder auch kaum wahrnehmbar. Wahrscheinlich wird es irgendwo dazwischen liegen.«
»Dr. Two Horses ist auf dem Weg, um die Behandlung zu beginnen«, sagte Rule. »Das wird einiges bewirken.«
»Die Heilerin.« Stanton kniff abfällig die dünnen Lippen zusammen. »Ihre Mitwirkung wird eventuell für das Weichgewebe förderlich sein. Ja, es gibt Hinweise, die durchaus stichhaltig sind, dass ein Heiler die Genesung beschleunigen kann, doch ich kenne keine Studien, die zeigen, dass er tatsächlich die Regeneration der Nerven im Vergleich zum natürlichen Heilungsverlauf verbessert. Doch Dr. Two Horses Behandlung richtet auch keinen Schaden an, also habe ich nichts dagegen einzuwenden.«
»Was für eine Erleichterung«, murmelte Lily. »Sie können jetzt gehen.«
Stanton runzelte die Stirn. »Haben Sie mit einem Physiotherapeuten geredet? Wir haben hier eine ausgezeichnete Einrichtung mit – «
»Ich lebe in San Diego, also werde ich dort diszipliniert meine Übungen machen müssen.«
Eigentlich hätte der Chirurg wissen müssen, dass Lily nicht von hier war, aber er sah nicht wirklich sie – er sah ein Krankheitsbild. Ohne Zweifel kam ihm die Tatsache, dass seine Patienten auch Menschen waren, oft ungelegen. Steif sagte er: »Die therapeutischen Einrichtungen in San Diego kenne ich nicht.«
»Aber Dr. Two Horses kennt sie.« Rule trat ein paar Schritte vor, um den Mann aus dem Zimmer zu drängen. »Ich bin sicher, sie wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald sie ankommt. Danke für Ihre Kompetenz und Ihre Zeit, Doktor.« Und
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