Wolf Shadow Bd. 7 - Verbotene Pfade
Als Nächstes rief er seinen Vater an. In San Diego war es noch sehr früh am Morgen, aber Isen schlief noch weniger als Rule. Rule ging davon aus, dass er bereits wach war, und so war es auch.
Zuerst sprachen sie über Lily und die beunruhigende Prognose des Chirurgen. Dann streiften sie kurz das Thema der seltsamen nächtlichen Besucherin. Sie war immer noch bewusstlos, so wie sie es vorausgesagt hatte. Das war zwar rätselhaft, doch nachdem er einige Fragen gestellt hatte, für die vorher keine Zeit gewesen war, überließ Rule die Angelegenheit Isen und Benedict. Denn es gab Fragen zu klären, die den Clan betrafen.
Er schlug einen höflichen, formellen Ton an. »Der Rho der Leidolf wünscht den Rho der Nokolai zu sprechen.«
»Der Rho der Nokolai grüßt den Rho der Leidolf und spricht ihm sein Beileid zu dem Verlust eines Clanmannes aus.«
»Danke. Ich habe eine Bitte. Ich hoffe, du gibst deine Einwilligung, dass die Nokolai-Wachen, die mit meinem Clanmitglied zusammengearbeitet haben, die Rolle der reliquae im firnam übernehmen dürfen, wenn sie es wünschen.«
»Ah.« Es folgte ein kurzes Schweigen. Rule wusste, dass Isen in Windeseile alle möglichen Standpunkte bedachte. Dass mehr als ein Clan den Dienst der reliquae übernahm, war ungewöhnlich, aber es war bereits vorgekommen – jedoch nicht zwischen Nokolai und Leidolf. Reliquae – ein Begriff, der auch von der katholischen Kirche verwendet wurde, wenn auch in einem anderen Kontext – bezeichnete die, die zurückgelassen worden waren. Sie wurden aus denen erwählt, die zusammen mit dem im Kampf gefallenen Krieger gedient hatten. Einen Rho zu bewachen wurde als ein Kampfeinsatz angesehen; daher kamen nun alle die, die mit LeBron als Wache gearbeitet hatten, als reliquae infrage.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hielten alle Clans die gleichen Todesriten für ihre Krieger ab. Einige Clans folgten auch heute noch der Sitte, nach der der Rho, wenn jemand in seinem Dienst gefallen war, bei der Zeremonie die Rolle eines einfachen reliquae übernahm. So hielten es auch die Nokolai. Im Tode waren alle, die dem Clan und der Dame dienten, gleich. Doch es gab auch Clans, die wie die Leidolf den Rho zu einem reliquus erhoben. Rule lehnte diese Praktik vehement ab.
Isen antwortete auf formelle Weise. »Ich bin erfreut über deine Bitte und gewähre sie dir gern. Als Zeichen dafür, dass die Nokolai das Opfer der Leidolf und den Mut deines Clanmitglieds wertschätzen, werden die Nokolai die Reisekosten all derer übernehmen, die deiner Einladung folgen wollen. Möchtest du die Einladungen persönlich überbringen?«
»Ja, das möchte ich. Ich danke dir. Du solltest wissen, dass ich bereits einen Nokolai eingeladen habe. Ich bitte um Verzeihung, dass ich dich nicht erst zurate gezogen habe.«
»Ich nehme an, du meinst Lily.«
»Ja.«
»Sie hat nicht gewusst, dass sie meine Erlaubnis benötigt – und es würde sie auch nicht kümmern. Du dagegen weißt es, aber ich fasse dieses Versäumnis nicht als Beleidigung auf. Dann war es also notwendig?«
»Die Art, wie LeBron zu Tode gekommen ist, macht ihr sehr zu schaffen.«
»Ich verstehe. Sag ihr – nein, sie braucht keinen Zuspruch von ihrem Rho. Ich möchte mit meinem Sohn sprechen.«
»Ich bin hier.«
»Sag Lily, es gibt einen Unterschied zwischen Schmerz und Verletzung. Eine Verletzung heilt irgendwann wieder. Oder nicht. Der Schmerz ist einfach da.«
Es war eine seltsame Botschaft. Doch trotz seiner Skepsis versprach Rule, sie weiterzuleiten, und verabschiedete sich. Er musste zurück zu Lily. Er beschloss, ihr einen Kaffee mitzubringen. Vermutlich war sie wieder eingeschlafen – er hoffte es – , aber falls nicht, würde sie sich über einen anständigen Kaffee freuen.
Er ließ sich noch einmal nachschenken und dann beide Becher in eine Tüte packen, damit er eine Hand frei hatte. Natürlich hätte er auch Randy bitten können, sie zu tragen, aber was war ein Bodyguard nutze, der die Hände voll hatte?
Und kurz darauf war er auch froh um die freie Hand, als er einen Anruf von Stephen Andros erhielt, dem Lu Nuncio der Etorri. Und dann, als er das Gebäude ansteuerte, in dem sich Lilys Zimmer befand, vom Lu Nuncio der Ybirra. Und als er das Treppenhaus betrat – er musste sich die Beine vertreten, da kam ihm der kleine Lauf die fünf Stockwerke hoch gerade recht – , von Edgar Whitman, dem Rho des Wythe-Clans.
Dass die Lu Nuncios ihn anriefen, überraschte ihn nicht. Sie hatten aus den
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