Wolf unter Wölfen
halbe Stunde bis zur Abfahrt des Zuges, aber er mußte ja auch noch seine Leutekolonne vom Vermittler übernehmen, mit dem Mann abrechnen, Sammelfahrschein ausstellen lassen …
Trotz der durchwachten Nacht fühlte der Rittmeister sich unternehmend und hoffnungsvoll – daß er nicht allein, nicht mehr ohne Freunde nach Neulohe zurückfuhr, war gut. Und dann wehte hier am Schlesischen Bahnhof etwas von der Luft des Ostens. Am Alexanderplatz dachte man nur noch an Berlin, fühlte man nur die Riesenstadt – hier am Schlesischen Bahnhof dachte man an Felder und Ernte … Es galt die Neuloher Ernte gut hereinzubringen –!
Wie vom Blitz getroffen blieb der Rittmeister unter dem Türbogen stehen. Er stand, starrte, spähte – ungeduldig wies er mit einem Kopfschütteln einen Gepäckträger von sich … Nun trat er etwas zurück, voll Angst, entdeckt zu werden …
Es war schon so, nur ihm konnte das passieren: der Arbeitgeber versteckte sich vor seinen Arbeitern, bekam bei ihrem Anblick Angst!
Dort an der Treppe standen sie, ein Haufe, eine Horde – der Rittmeister zweifelte keinen Augenblick, daß dies seine Leute sein sollten, obwohl der Vermittler im Augenblick nicht zu entdecken war.
»O Gott!« stöhnte der Rittmeister aus tief verwundetem Herzen, »und so was will bei mir Roggen puppen, dies will Kartoffeln buddeln, diese Horde in Neulohe leben …«
Junge Bengel, die Schiebermütze keß aufs Ohr gesetzt, den Zigarettenstummel im Mundwinkel, mit unendlich weiten, scharf gebügelten Hosen bis zur Schuhspitze, das Chaplinstöckchen kokett in der Hand … Andere Lümmel, langsträhnig, entweder ohne Kragen oder mit verschmutztem Schillerkragen, das Hemd über der Brust offen, die Arme blau und rot tätowiert wie die Brust, zerrissene Hose, barfuß oder ausgelatschte Turnschuhe … Zwei Straßenmädchen mit fast weißem, gebleichtem Haar, in Seidenfähnchen, auf Stöckelschuhen aus Lackleder … Ein uralter Mann mit Nickelbrille, sein schwarzer Gehrock hing traurig über die dürren Lenden, eine Botanisiertrommel hing am Bindfaden von der schrägen Achsel … Wieder ein Mädchen, irgendeine grüngestreifte Flanellbluse über den Brüsten wie Mehlsäcken – ein schreiendes Kind auf dem Arme …
»O mein Gott!« stöhnte der Rittmeister wieder.
Und nicht ein Stück Gepäck, keine Margarinekistchen, nicht einmal ein Persilkarton – nur diese eine verbeulte grüne Botanisiertrommel, Gemeinschaftsgepäck aller.
Nicht einmal sechzig Zahnbürsten hätten in dem Dings Platz, geschweige denn sechzig Hemden!
Und das alles schob sich in bester Laune, lachend, schwatzend, Schlager pfeifend und johlend durcheinander; zwei knutschten sich schon, auf einer Treppenstufe sitzend … Ungeniert wurden vorbeieilende Reisende angerufen, verspottet, angebettelt …
»Eine Zigarette, Herr Chef, bitte, schenken Sie mir eine Zigarette!« Und der Bengel nahm dem Verblüfften die brennende Zigarette aus dem Munde. – »Danke, Herr Chef, ich bin nicht so, wir haben alle dieselbe Krankheit …«
Die Fahrt nach Neulohe, das Einbringen der Ernte: eine Landpartie, ein willkommener Ulk für diese – Bande!
»Bande!« knirschte der Rittmeister. – Und aufgeregt zu dem mit einem Handkoffer anlangenden von Studmann: »Sieh dir diese Bande an! Und so was will auf dem Lande arbeiten! In Lackschuhen – mit Shimmyhosen!«
»Schlimm!« sagte von Studmann nach kurzer Musterung. »Nimm sie einfach nicht. Du hast doch Landarbeiter verlangt!«
Der Rittmeister sagte ein wenig verlegen: »Aber ich muß Leute haben! Die Ernte verfault mir draußen!«
»So such andere. Auf einen Tag kann es nicht ankommen. Fahren wir morgen!«
»Aber jetzt, mitten in der Erntezeit, gibt es keine vernünftigen Leute. Jeder hält fest, was er hat. Und kein Aas will aufs Land – lieber verhungern sie hier bei ihren Kinos.«
»So nimm diese – zu irgend etwas werden sie schon zu gebrauchen sein.«
»Und mein Schwiegervater –?! Meine Schwiegermutter –?!! Ich mache mich ja unsterblich lächerlich, die lachen mich ja aus, ich bin ja ein erledigter Mann, wenn ich mit diesen Leuten ankomme! Das sind ja alles Nutten und Zuhälter!«
»Ziemlich verwahrlost sehen sie aus – aber wenn du Arbeiter haben
mußt
! – Was willst du also tun?«
Der Rittmeister vermied eine direkte Antwort: »Ich sage dir, Studmann«, sagte er ärgerlich, »ich hab’s mir nicht leicht gemacht. Ich bin kein Landwirt, da hat mein Schwiegervater recht; ich lese, ich überlege, ich renne
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