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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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mich irren. Ich habe es mir zurechtgelegt, es kann so sein, einige Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Sie spielt die Bewußtlose,sie denkt, das Unheil geht dann an ihr vorüber. – Vielleicht gibt es auch eine Frist für dieses Unheil, wir wissen ja nichts …«
    »Aber was soll denn jetzt noch für Unheil kommen?!« ruft Frau von Prackwitz recht ärgerlich aus. »Der Kerl hat sie sitzenlassen, das habe ich mir schon lange gedacht. Hier hat sie ihn zufällig wiedergetroffen, er hat eine Auseinandersetzung mit meinem Mann gehabt. Der Bursche hat sich als Lump erwiesen, sonst hätte ihm mein Mann den Wein nicht ins Gesicht gegossen. Das alles hat sie namenlos aufgeregt. Sie hat einen Nervenzusammenbruch gehabt – schön, oder vielmehr schlimm genug –, aber was soll denn nun noch für Unheil kommen?«
    »Das ist es ja eben, was wir nicht wissen, gnädige Frau, und was wir wahrscheinlich auch nicht wissen sollen. – Sehen Sie«, sagt der Arzt überredend, denn Frau Eva bleibt bei all seinen Worten ungläubig und ablehnend, »wenn es so wäre, wie Sie annehmen, so müßte das kleine Fräulein ja eigentlich erleichtert gewesen sein nach dieser Auseinandersetzung. Daß der Vater und damit die Eltern nun endlich ihr Geheimnis kannten, mußte sie doch eher erleichtern. – Warum verstellt sich denn ein so junges Ding noch, warum greift es zu so einem doch ganz fernliegenden Mittel?«
    »Aber Sie nehmen doch nur an, daß Violet sich verstellt hat, Herr Doktor, Sie haben doch nicht mit ihr geredet.«
    »Nein, das habe ich leider nicht getan. Es ist alles bloß eine Annahme, da haben Sie recht, gnädige Frau.«
    »Nun gut, und was würden Sie denn raten zu tun?«
    »Geben Sie Ihre Tochter in das hiesige Krankenhaus, da wäre sie gut aufgehoben, wahrscheinlich fühlt sie sich dort sicher. Wenn sie aufwacht, wenn sie nach Ihnen verlangt, können Sie in zehn Minuten bei ihr sein. Wenn sie nach Hause will – es kann sofort geschehen.«
    Frau Eva von Prackwitz sah den Arzt nachdenklich an. Sie dachte nicht über den Vorschlag des Arztes nach, dafür fand sie ihn viel zu töricht. Sie kannte doch ihre Violet, ein paarWorte, und alles würde zwischen Tochter und Mutter wieder in Ordnung sein. Natürlich würde sie Violets Geheimnis achten, ganz von Frau zu Frau – sie hatte sich das schon ohne all dieses Gerede von Unheil und größerem Unheil fest vorgenommen. Nein, wenn Frau Eva jetzt nachdachte, dachte sie darüber nach, warum ihr dieser Arzt wohl solch einen Vorschlag machte, hinter dem etwas anderes stecken mußte.
    Leichthin fragte sie: »Und Sie würden unsere Violet auch im hiesigen Krankenhaus behandeln?«
    Ahnungslos sagte der Arzt: »Wenn Sie es wünschen, gnädige Frau, sehe ich natürlich dann und wann nach ihr.«
    Für Frau Eva ist die Sache klar: Dieser kleine Kassenarzt hat Geld gewittert, er warnt vor Unheil, um eine lange, kostspielige Behandlung zu rechtfertigen. Sie steht auf: »Also ich danke Ihnen sehr, Herr Doktor. Ich werde Ihren Vorschlag mit Herrn von Prackwitz besprechen. Wenn wir darauf zurückkommen sollten, geben wir Ihnen noch Nachricht …«
    Sie steht da, ganz kühle Abweisung – keiner kann aus seiner Haut. Sie ist sonst eine recht vernünftige, klarsehende Frau, aber im Augenblick ist sie nur die Tochter des reichen Mannes. Sie mißtraut den Beweggründen all derer, die gezwungen sind, um ihren Lebensunterhalt für Geld etwas zu tun. Er will ja bloß Geld verdienen, dieser törichte Satz macht aus einem weise besorgten Rat ein eigennütziges, niedriges Geschäft.
    Und endlich versteht sie auch der alte Mann. Eine kleine Röte steigt in seine dünnen Backen, er macht eine hilflose Verbeugung, er tritt noch einmal an das Bett. Er kann nichts mehr tun. Er hat ihr ein bißchen Schlaf geben können, aber was nach dem Schlafe kommt, das hat er ihr nicht leichter machen dürfen. So ist es auf dieser Welt: Mit gebundenen Händen sieht der Hilfreiche die Verdammten, die Unglücklichen, die Gefährdeten ihre Wege gehen. Er kann bloß warnen. Aber seine Stimme verhallt zwischen Gelächter und Todesgeschrei, unbeachtet steht er am Wege …
    »Sehr behutsam bei dem Erwachen …«, sagt er noch einmal und geht.
    Unruhig wandert Frau von Prackwitz im Zimmer auf und ab, hin und her. Wo Achim bleibt? Und keine Nachricht von dem Chauffeur Finger. Nun ist es bald vier, fast eine Stunde sitzt sie schon in diesem elenden Hotelzimmer. Um irgend etwas zu tun, geht sie hinunter an das Telefon. Sie kann zwar nicht

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