Wolfgang Hohlbein -
Teufel oft in Gestalt des Guten auftritt?« fragte sie. Sie schüttelte den Kopf und machte eine beinahe herrische Handbewegung, als er etwas sagen wollte.
»Ich habe dem einen oder anderen geholfen, aber das hätte wohl jeder an meiner Stelle getan, der ein Herz in der Brust hat und keinen Stein. Und ich hätte mehr tun können.«
»Woran ist Verkolt gestorben?« fragte Tobias.
»An dem Gift, das ich ihm eingeflößt habe«, antwortete Katrin.
Tobias starrte sie aus aufgerissenen Augen an, ehe ihm klar wurde, wie ihre Worte gemeint waren.
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»Du solltest nicht scherzen«, sagte er. »Ob ich dir glaube oder nicht - es ist ein schwerer Vorwurf, der gegen dich erhoben wird.« Er zögerte einen Moment. »Und das ist nicht der einzige«, fügte er hinzu.
»Ich weiß«, sagte Katrin.
Tobias wartete darauf, daß sie weitersprach, aber das tat sie nicht. Er war enttäuscht. Er hatte wenn schon nicht die Auflösung dieses unheimlichen Rätsels, so doch wenigstens Hilfe von ihr erwartet. Aber nichts von alledem, was sie ihm bisher erzählt hatte, brachte ihn auch nur einen Schritt weiter. Dabei hatte er immer mehr das Gefühl, daß sie die Lösung all dieser Rätsel kannte. Warum half sie ihm nicht, ihr Leben zu retten?
Er sah sie noch einen Moment ernst an, dann stand er auf, trat ans Fenster und blickte auf die Straße hinab. Das Bild unterschied sich nicht von dem, das er am vergangenen Morgen gesehen hatte. Die Häuser waren noch immer so klein und häßlich, die Menschen noch immer so klein und grau und geduckt, und die Furcht nistete noch immer zwischen den ärmlichen Hütten. Aber etwas war für ihn hinzu-gekommen: das Wissen, daß diese Furcht nicht grundlos war, daß es etwas gab, das nachts um die Stadt strich.
»Irgend etwas geschieht hier, Katrin«, sagte er leise. »Irgend etwas Furchtbares geht hier vor sich. Ich war in der Mühle.
Ich habe geseher., was mit dem Korn passiert ist. Und ich war im Wald und habe ein totes Tier gesehen, das niemals hätte geboren werden dürfen.« Er drehte sich mit einem Ruck herum und sah auf sie herab.
»Ich weiß nicht, von welchem Tier du redest«, antwortete Katrin. »Aber es war nicht das einzige. Und nicht nur Tiere.
Auf dem Friedhof liegt ein Kind, dessen Hände direkt aus den Schultern wuchsen, als es auf die Welt kam.«
»Ich weiß«, sagte Tobias. »Vielleicht werde ich es ausgraben lassen, um es mir anzusehen.«
Katrin schüttelte ganz leicht den Kopf. »Tu das nicht«, sagte sie. »Ich habe mitgeholfen, es auf die Welt zu bringen.
Ich weiß, welch entsetzlichen Anblick es bot.«
»Du hast mitgeholfen?« fragte Tobias zweifelnd.
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»Warum nicht? Es gibt weder einen Arzt noch eine Hebamme hier. Ich war die einzige, die überhaupt helfen konnte.«
»Ich habe gehört, du hättest Streit mit seiner Mutter gehabt, bevor es auf die Welt kam?«
»Auch das ist richtig«, antwortete Katrin. »Und? Was konnte das Kind dafür, daß seine Mutter ein törichtes Weib war. Ich habe sie mehr als einmal gewarnt. Ich habe auch diesen starrköpfigen Müller gewarnt und viele andere auch.
Keiner hat auf mich gehört, dafür haben sie mir hinterher die Schuld gegeben, als ganz genau das passiert ist, was ich ihnen prophezeite.«
»Und was war das?« fragte Tobias.
»Was du gesehen hast«, antwortete Katrin. »Ein Kind, das ohne Arme geboren wurde. Das Schicksal war gnädig
genug, es sterben zu lassen, ehe es den ersten Atemzug tat.
Ein anderes kam blind auf die Welt, und es hatte weniger Glück und überlebte. Und mehrere Frauen hier verloren ihre Kinder. Aber das hat nichts mit Hexerei zu tun.«
»Womit dann?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Katrin. »Es muß am Wasser liegen. Es ist verdorben.«
»Der See?«
Katrin nickte. »Nicht nur der See. Es gibt einen Brunnen am nördlichen Ende der Stadt. Sein Wasser ist gleichfalls verdorben. Ich habe sie gewarnt, davon zu trinken. Manche haben auf mich gehört, manche nicht. Erst als es zu spät war, als einige krank wurden und einige starben, fingen sie an, das Wasser aus dem Fluß zu holen. Sie tranken von dem Wasser und stellten fest, daß sie am nächsten Tag noch gesund und am Leben waren. Keiner dieser Narren hat auch nur gedacht, daß das Gift, das es enthält, vielleicht erst spä-
ter wirkt.«
»Welches Gift?« fragte Tobias.
»Woher soll ich das wissen?« antwortete Katrin störrisch.
»Ich bin nicht die einzige, die sie gewarnt hat. Auch mein Mann, Verkolt, hat das getan. Aber er hörte auf,
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