Wolfgang Hohlbein -
allein.«
»Und Verkolt?« fragte Tobias. Katrin ließ einige Augenblicke verstreichen, ehe sie langsam den Kopf in dem Kissen drehte und ihn mit undeutbarem Ausdruck ansah. »Er war sehr gut zu mir«, sagte sie. »Jedenfalls am Anfang. Und ich war jung damals, und von irgendwas mußte ich leben.«
»Und deshalb bist du mit ihm gegangen?«
Katrin zuckte mit den Achseln. »Warum nicht? Ich war Bedienung in einer Schenke, als ich ihn kennenlernte, fast eine Leibeigene. Er war ein alter Mann, aber er war nett und reich.«
»Das klingt, als hätte er dich gekauft«, sagte Tobias.
»Das hat er auch«, bestätigte Katrin. »Was ist daran ver-werflich? Er wollte mich, und ich wollte etwas mehr vom Leben als nur einen Teller Suppe am Tag.« Sie lachte ganz leise. »Bist du jetzt entsetzt?«
Tobias blieb ihr auch auf diese Frage die Antwort schuldig. Er hätte entsetzt sein müssen, zumindest betroffen, aber er kannte das Leben zu gut, um sie nicht zu verstehen.
Auf diese Art schleppte sich ihr Gespräch über eine Stunde hin. Es war, als hätten sie beide Angst, zuviel über das Leben zu erfahren, das der andere in den vergangenen siebzehn Jahren geführt hatte. Und tatsächlich ertappte sich Tobias mehr als einmal dabei, ihr kaum zuzuhören, wenn sie ihm etwas erzählte oder eine seiner Fragen beantwortete.
Vielleicht wollte er all das im Grunde gar nicht wissen.
Katrin - die Katrin seiner Erinnerung - war ein blutjunges Mädchen gewesen, das er geliebt hatte, und zumindest den Gedanken an diese reine Liebe wollte er sich bewahren.
Schließlich war es Katrin, die das Gespräch auf den Punkt brachte, den er bisher sorgsam vermieden hatte. »Glaubst du es?« fragte sie unvermittelt.
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Tobias wußte nur zu gut, was sie damit meinte. Trotzdem sah er sie einen Moment verwirrt an und fragte: »Was?«
»Daß ich eine Hexe bin«, antwortete Katrin ernst.
»Unsinn!« antwortete Tobias - selbst für seinen Ge-
schmack eine Spur zu schnell, um wirklich überzeugend zu wirken. Und Katrin machte sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu schütteln oder zu lächeln, sondern sah ihn nur weiterhin fragend an.
»Ich . . . bin noch nicht sehr lange hier«, fuhr er stockend fort. »Ich hatte nicht sehr viel Zeit, mich umzusehen.«
»Aber du hast mit einigen Leuten gesprochen«, antwortete Katrin. »Und du wohnst in Bressers Haus. Er haßt mich.«
»Ich glaube nicht an Hexerei«, sagte Tobias und wußte, welch ungeheuerliches Bekenntnis er soeben ausgesprochen hatte.
»Du? Als Inquisitor?«
»Ja«, erwiderte Tobias. »Ich bin oft gerufen worden, um eine Hexe zu verurteilen. Fast immer stellte es sich als Hysterie oder Haß heraus. Es ist üblich geworden, den Teufel zu bemühen, wenn man mit seinen Problemen nicht mehr
selbst fertig wird.«
»Aber das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte Katrin. »Glaubst du, was man dir über mich erzählt hat?«
»Wen fragst du jetzt?« fragte Tobias nach sekundenlangem Schweigen. »Den Inquisitor - oder den einfachen Mönch?«
»Ist das ein Unterschied?«
»Ich . . . weiß es nicht«, gestand Tobias zögernd. »Ich glaube ja.«
»Dann frage ich den Inquisitor«, sagte Katrin.
Tobias schüttelte den Kopf. »Ich habe eine Menge
erschreckender Dinge erlebt, seit ich hergekommen bin.
Aber nichts davon ist das Werk einer Hexe. Was nichts daran ändert«, fuhr er mit leicht erhobener Stimme fort,
»daß es sich um sehr erschreckende Dinge handelt.« Er überlegte einen Moment, ihr von seinem Erlebnis am vergangenen Abend zu berichten, tat es aber nicht. Er hoffte noch immer, daß sich alles doch mit ein wenig Logik lösen ließe.
»Seltsame Dinge?« Katrin lachte so gequält, daß Tobias 232
zusammenfuhr, denn nie hätte er sie für ein solch kaltes, grausames Lachen fähig gehalten. »Ja«, fuhr sie in verächtlichem Ton fort. »So kann man es auch nennen.«
»Und wie würdest du es nennen?« fragte Tobias.
»Dummheit«, erwiderte Katrin. »Dummheit, Ignoranz
und Haß.«
»Erkläre mir das.«
»Wenn du noch einige Tage bleibst und dich umsiehst, brauchst du keine Erklärungen mehr«, antwortete Katrin.
Sie machte eine zornige Handbewegung zu der Stadt jenseits des Fensters. »Schau dich doch um. Die Menschen hier sind Narren. Bis auf ganz wenige Ausnahmen.«
»Mir kamen sie eher verängstigt vor«, sagte Tobias vorsichtig.
»Verängstigt? O ja! Und sie haben auch allen Grund dazu.
Aber was sie fürchten sollten, das ist ihre eigene Dummheit, nicht den Teufel oder
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