Wolfgang Hohlbein -
diesem Haus ist kein Platz für sie und mich.«
»Dann würde ich vorschlagen, Ihr sucht Euch eine andere Unterkunft, solange ich in der Stadt bin«, antwortete der Mönch seelenruhig. »Ich brauche ohnehin einen Platz, an dem ich meine Arbeit verrichten kann. Ich muß Zeugen befragen, mir Notizen machen und in Ruhe arbeiten können.
Und schließlich muß der Prozeß vorbereitet werden.«
Bresser starrte ihn voller Zorn an, aber er verkniff sich jede Antwort, sondern ballte lediglich die Fäuste. Einige Augenblicke lang blickte er Tobias durchdringend an, dann stand er auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Tobias sah ihm nachdenklich nach. Für einen ganz kurzen Moment hatte er so etwas wie Triumph verspürt, aber das Gefühl verging schnell, und zurück blieb ein bitterer Nachgeschmack. Er war einfach nicht mehr sicher, ob er Bresser nicht Unrecht tat. Vielleicht waren seine Warnungen wirklich ernst gemeint. Und vielleicht sollte er aufhören, sie als Drohung aufzufassen.
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Tobias war zutiefst verwirrt. Nach den Geschehnissen der vergangenen Nacht hatte ihn das Gespräch mit Katrin noch mehr in Unsicherheit gestürzt. Sie war nicht mehr das Nach-barskind, das er liebte, sondern eine erwachsene Frau, die um ihr Leben kämpfte. Der Dominikaner gestand sich ein, daß er bisher nicht versucht hatte, die Situation mit ihren Augen zu sehen. Sie hatte den sicheren Tod vor Augen gehabt. Sein plötzliches Auftauchen mußte ihr wie ein Wunder vorkommen. Konnte er da irgend etwas anderes erwarten, als daß sie annahm, er sei gekommen, um ihr zu helfen?
Durfte er es überhaupt?
Pater Tobias war sich mit schmerzhafter Deutlichkeit bewußt, daß er im Grunde nur eine einzige Wahl hatte: nämlich unverzüglich nach Lübeck zurückzukehren und seinem Abt zu berichten, was er hier erlebt und gesehen hatte.
Damit aber würden ihm die Untersuchungen aus der Hand genommen werden; und das hieße, daß Katrins Schicksal besiegelt war.
Ein dünnes, schmerzerfülltes Lächeln huschte über das Gesicht des Mönches. Er hatte vor dem Augenblick gezittert, in dem er vor der Entscheidung stehen würde, entweder Katrin oder seinen Glauben zu opfern. Und er hatte nicht einmal gemerkt, daß die Entscheidung schon in dem
Moment gefallen war, in dem er das Zimmer im Turm betreten hatte und seiner einst geliebten Katrin gegenüberstand.
Plötzlich hielt er die Stille um sich herum nicht mehr aus.
Er sprang auf und stürzte auf die Straße hinaus. Nichts auf dem Platz schien sich verändert zu haben, nur die beiden Männer, die das Haus beobachtet hatten, waren verschwunden.
Die nächsten beiden Stunden verbrachte er damit, beinahe ziellos durch die Stadt zu schlendern. Er sprach mit niemandem, stellte keine Fragen, aber er sah sich sehr aufmerksam um. Erst später am Nachmittag kehrte er ins Haus zurück und ging wieder ins Dachgeschoß hinauf, um nach Katrin zu sehen. Sie schlief. Er weckte sie nicht, sondern blieb nur eine Zeitlang neben dem Bett stehen und sah auf ihr bleiches, vom Fieber ausgezehrtes Gesicht herab. Was er 243
bei ihrem Anblick empfand, wußte er nicht und wollte es auch gar nicht wissen. Vielleicht war es manchmal einfacher, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen und sich einfach selbst zu belügen. Aber er kam zu einem Entschluß in diesen Augenblicken. Und als er sich schließlich herumdrehte und wieder aus dem Zimmer trat, wußte er endgültig, was er zu tun hatte.
Es war noch nicht sehr spät, aber Maria hatte trotzdem bereits damit begonnen, das Abendessen vorzubereiten, und sie nahmen das Essen gemeinsam und in einer Art erbitter-tem Schweigen ein. Bresser gab sich alle Mühe, sich seinen Zorn nicht zu deutlich anmerken zu lassen, was ihm allerdings nur mit mäßigem Erfolg gelang. Als sie gegessen und Tobias das Gebet gesprochen hatten, stand Bresser auf und verließ wortlos das Zimmer. Seine Frau sah ihm traurig nach, schaute dann Tobias an und wollte ebenfalls aufstehen, aber er bedeutete ihr mit einer Geste, noch einem Moment sitzen zu bleiben.
Sie gehorchte, warf ihm aber einen fast ängstlichen Blick zu. Dabei schien es Tobias, daß es weniger Angst vor als vielmehr um ihn war. Er fragte sich, was Bresser ihr erzählt hatte. Er sagte jedoch nichts, sondern stand auf, ging zur Tür und überzeugte sich davon, daß ihr Mann nicht auf dem Flur stand und lauschte, ehe er die Tür wieder sorgsam hinter sich schloß und zum Tisch zurückkehrte.
»Er ist sehr zornig, nicht wahr?«
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