Wolfgang Hohlbein -
fragte er, nachdem er sich wieder gesetzt hatte.
Maria nickte. Aber sie schüttelte auch fast in der gleichen Bewegung wieder den Kopf. »Ja«, sagte sie. »Aber ich glaube, er hat einfach nur Angst.«
»Vor mir?« fragte Tobias. »Oder vor Katrin?«
»Beides«, antwortete Maria nach kurzem Zögern. Sie wich seinem Blick aus. »Vor Euch, weil Ihr . . . weil Ihr ein mächtiger Mann seid, und sie fürchtet er als Hexe.«
»Und du?« fragte Tobias.
»Sie wird mir nichts tun«, antwortete Maria.
»Du glaubst auch, daß sie eine Hexe ist?« fragte er verwirrt.
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Maria nahm all ihre Kraft zusammen, um den Kopf zu
heben und seinem Blick standzuhalten. »Ich weiß es nicht«, gestand sie, »aber ob sie es ist oder nicht, sie wird mir nichts zuleide tun.«
Tobias starrte sie an. Vielleicht war Bressers Frau in dieser ganzen Stadt der einzige Mensch, dem er wirklich traute; aber er hatte schon wieder einen Fehler begangen: Indem er sich klar gemacht hatte, daß sie nicht gegen ihn war, hatte er ganz instinktiv unterstellt, sie wäre für ihn.
»Du also auch?« murmelte er betroffen.
Marias Blick flackerte. Ihre Finger, die auf dem Tisch nervös miteinander spielten, begannen zu zittern. »Ich stehe auf Eurer Seite«, sagte sie, »aber . . . aber ich . . .«
Tobias unterbrach sie mit einem Lächeln und berührte ihre Hand. »Schon gut«, sagte er leise. »Ich verstehe.«
Marias Augen füllten sich mit Tränen. »Ihr dürft nicht glauben, daß ich Euch verraten hätte oder feige wäre«, sagte sie. »Aber Bresser ist mein Mann, und der Graf . . .« Wieder geriet sie in Stocken. Und wieder schüttelte der Mönch sanft den Kopf.
»Schon gut«, sagte er noch einmal. »Ich weiß, was du sagen willst.«
Er lächelte noch einmal, stand auf und fuhr in völlig ver-
ändertem Tonfall fort: »Geh und hol deinen Mann. Sag ihm, daß ich ein paar Dinge von ihm brauche und einen Auftrag für ihn habe, bevor er geht. Ich werde morgen mit der offiziellen Untersuchung beginnen.« Er machte eine Handbewegung in das fast leere Zimmer hinein. »Dazu brauche ich ein paar Möbel hier. Einen Schreibtisch, einige Stühle ... Er soll aus dem Haus nebenan herüberbringen lassen, was er findet. Und ich brauche eine Liste der Zeugen, die ich offiziell vernehmen kann. Sag ihm, daß ich sie morgen früh haben möchte.«
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10
In dieser Nacht träumte er, daß Katrin zu ihm käme. Er war früh zu Bett gegangen, um sich gründlich auszuschlafen; eigentlich zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Buchenfeld.
Und obwohl er innerlich aufgewühlt war sie selten zuvor in seinem Leben, schlief er fast sofort ein, denn ganz egal, welcher Sturm in seiner Seele tobte, sein Körper verlangte immer stärker nach seinem Recht. Er schlief sofort ein, und anders als in seinen gewöhnlichen Träumen wußte er, daß er träumte:
Er befand sich nicht mehr im Haus der Bressers. Statt auf der weichen Matratze des Bettes lag er auf einem noch wei-cheren Lager aus Moos. Und statt der fleckigen, niedrigen Zimmerdecke des Schlafzimmers blickten seine Augen ins samtene Schwarz-Blau eines Nachthimmels, an dem nicht eine einzige Wolke stand. Der Mond, der sich nun bis auf einen kaum fingerbreiten Streifen an seiner rechten Seite vollkommen gerundet hatte, überschüttete sein Gesicht mit bleichem Licht, das alle Farben auslöschte und die Dinge mit harten Konturen versah. Die vielfältigen Gerüche des Waldes drangen in seine Nase, und er hörte das Rauschen der Blätter, die sich hoch über seinem Kopf im Wind bewegten.
Verblüfft richtete er sich auf, fuhr sich - ganz, als wäre er wirklich erwacht - mit der Hand über Gesicht und Augen und unterdrückte ein Gähnen. Er fühlte sich auf eine angenehme, entspannte Art und Weise ermattet. Die kalte Nachtluft, in der nicht mehr der bestialische Gestank des Pfuhls lag, tat seinen Lungen wohl. Obgleich noch immer müde, fühlte er sich doch gleichzeitig von einer Tatkraft durchdrungen, die er in den letzten Tagen schmerzlich vermißt hatte.
Tobias stand ganz auf, machte einen Schritt und blieb wieder stehen, um sich erneut umzusehen. Er befand sich im Wald, dessen uralte Stämme sich hinter ihm wie eine Mauer aus Schwarz und Grau erhoben. Vor ihm erstreckte sich eine 246
runde, von den weit überhängenden Baumkronen der uralten Eichen halb überschattete Lichtung, auf der wild wucherndes Unkraut und Buschwerk das Sonnenlicht gefunden hatten, das ihnen die Bäume drinnen im Wald verwehrten.
Tobias wollte
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