Wolfgang Hohlbein -
weitergehen und ganz auf die Lichtung hin-austreten, aber dann zögerte er plötzlich. Er konnte nicht erklären, warum - aber er hatte das Gefühl, diese Lichtung zu kennen; und aus einem Grund, der ihm genauso unklar blieb, war diese Erinnerung mit einem unguten Gefühl verknüpft, beinahe mit Angst. Als er seine Furcht schließlich überwandt und doch weiterging, da begriff er den Grund für sein Zögern.
Er kannte diese Lichtung. Wie jetzt im Traum war er schon einmal wirklich hier gewesen. Am ersten Tag, ehe er Buchenfeld erreichte. Es war die verwunschene Lichtung im Wald, auf der er den Dämonen begegnet war und den
Hexenkreis gefunden hatte. Er wußte es, einen Augenblick bevor er das Unterholz mit den Händen teilte und hindurch-trat, um den schwarzen, kreisrunden Ring verdorbener Erde zu sehen, auf dem sich weißes Pilzgeflecht wie das Netz einer absurden Spinne ausgebreitet hatte. Tobias blieb schaudernd stehen. Schon am Tage hatte dieser Ort
unheimlich ausgesehen und ihm Angst eingejagt. Jetzt, in der Kälte und Stille der Nacht und in einem Licht, das alle Details verwischte und nur die Essenz der Dinge sichtbar bleiben ließ, erfüllte ihn der Anblick beinahe mit Panik.
Vielleicht begriff er in diesem Moment zum ersten Mal wirklich, warum man solche Orte Hexenkreise nannte und warum die Menschen, die einen solchen Ring giftiger Pilze auf totem Boden entdeckten, in abergläubischer Furcht davonliefen. Obgleich von jeder Spur wirklichen Lebens geflohen, schien sich der Kreis schwarzer, klumpiger Erde zu bewegen. Da war ein Zucken und Huschen, ein Beben und Wogen, das das Auge nicht wirklich wahrnahm, sondern lediglich wie eine Bewegung im Augenwinkel registrierte. Es war ein Ort, an dem die Schöpfung Gottes verhöhnt wurde: Das Lebende war tot, und das Tote lebte. Der Boden zitterte, als bewege sich ein Dämon darunter, der 247
hinausdrängte, an unsichtbaren Ketten zerrend, die ihn seit Urzeiten gefangenhielten, ohne ihn jemals ganz zu bändigen. Tobias' Hände und Lippen begannen zu beben. Seine Nachtvisionen waren zum Alptraum geworden, in dem
selbst das Wissen, dies alles nicht wirklich zu erleben, nicht half, sondern es eher noch schlimmer machte, denn es ließ ihn auch seine Hilflosigkeit erkennen. Er wollte sich bewegen, schreien, weglaufen oder wenigstens die Augen schlie-
ßen, aber er konnte nichts von alledem tun. Gelähmt stand er da, wie von einer unsichtbaren, bösen Macht besessen, die ihn zwang, jenen Ort verfluchter Erde anzuschauen, und ihm selbst den trügerischen Trost der Dunkelheit hinter seinen eigenen Lidern verwehrte.
Dann hörte er die Schritte.
Sie kamen näher, und obwohl sie leicht und fast tänzelnd waren, nicht das schwere Stampfen eines hornköpfigen, geschwänzten Ungeheuers, lag eine Drohung in ihnen. Das Herz des Mönchs begann zu rasen. Kalter Schweiß bedeckte seine Haut, und die Angst schnürte ihm so die Kehle zu, daß er kaum noch atmen konnte. Trotz allem brachte er nicht die Kraft auf, sich herumzudrehen. Er stand immer noch da und starrte den schwarzen, brodelnden Sumpf aus toter Erde und totenbleichen weißen Pilzen vor sich an, während die Schritte näher kamen, einen Moment zögerten, weitergingen und dann verklangen.
Plötzlich begann auch seine Umgebung sich zu verändern.
Das Licht des Mondes wurde totenbleich, und der Wald rings um die Lichtung verwandelte sich in ein bizarres Gemälde, eine gräßliche Karikatur der Wirklichkeit.
Namenlose, unsichtbare Dinge schienen um ihm herum
durch die Finsternis zu schwimmen und mit wirren Spinnenfingern nach seiner Seele zu greifen. Es war noch immer kalt, aber gleichzeitig legte sich die Luft wie ein feuchter, schmieriger Nebel auf seine Haut und seine Kleider, bedeckte seine Augen mit einem klebrigen Schleier und kroch in seinen Mund, um seinen Körper auch von innen heraus zu vergiften. Der Wald hatte jede Farbe verloren, die Bäume waren schwarz, ihre Äste und Blätter grau in allen 248
nur denkbaren Schattierungen. Der Mönch stand mitten im Nichts, als sei der Wald ein Ort am Ende der Schöpfung, an dem es kein Gestern und Morgen, kein Leben und keinen Tod mehr gab. Nur noch die Angst, eine Angst jenseits der Grenzen des Vorstellbaren, die ihn auf der Stelle getötet hätte, wäre dies die Wirklichkeit und nicht ein Traum gewesen.
Die Schritte hoben jetzt wieder an. Er spürte, daß jemand dicht hinter ihm stand, fühlte es mit jenem verborgenen Sinn, der es Blinden ermöglichte, die Nähe
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