Wolfgang Hohlbein -
im Wald seines Alptraumes würde er auch das letzte Opfer bringen. Es war ihm gleich, ob er mit ewiger Verdammnis dafür bezahlte. Es war ihm gleich, ob er eine Million Jahre im Feuer der Hölle brennen würde für diese wenigen, kostbaren Augenblicke.
Er wehrte sich nicht, als sie sich langsam zu Boden sinken ließ und ihn dabei mit sich zog. Das schwarze Erdreich schmiegte sich wie eine klebrige Decke an seine Haut, und die toten weißen Pilze des Hexenkreises bildeten einen Ring stummer, unüberwindlicher Wächter, den nichts Lebendes oder Totes durchdringen konnte. Er beugte sich über sie, vergrub das Gesicht in ihrem Haar und sog ihren Duft ein wie eine betäubende Droge. Er wollte nur sie, die einzige Frau in seinem Leben, der einzige Mensch, für den er jemals wirklich Liebe empfunden hatte. Und er begriff plötzlich, daß sein Leben damals, an jenem Abend im Wald, geendet hatte. Alles, was danach kam, all diese unendlich bitteren Jahre waren ihm gestohlen worden, von Männern, die nur aus Verbitterung und Haß und Neid auf jeden, der Glück empfinden konnte, von einem falschen Glauben der Seligkeit predigten und Miß-
trauen und Haß in die Herzen der Menschen säten. Und von 253
ihm selbst, der diesem Irrglauben erlegen war, der zugelassen hatte, daß er sich selbst belog und um die kostbarsten Jahre seines Lebens brachte. Seine Hände fuhren über ihr Gesicht, ihren Hals, strichen weiter über ihre Schultern.
Katrin hielt seine Hand fest, lächelte und schob ihn mit der anderen Hand ein Stück von sich fort. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung setzte sie sich auf, hob die Arme und streifte das Hemd über den Kopf. Darunter trug sie nichts. Ihr Körper war weiß wie Alabaster und schimmerte wie feinste Seide, und er war so schön, wie er ihn in Erinnerung hatte. Tobias' Blick saugte sich daran fest, glitt über ihre Schultern, die kleinen Brüste, ihre Taille und das dunkle, verlockende Dreieck darunter, was wirklich zu berühren ihm versagt geblieben war.
Und in diesem Moment erwachte er.
Doch nicht aus dem Traum. Er befand sich noch immer auf der Lichtung, Katrin lag noch immer in seinen Armen, und rings um sie herum erhob sich noch immer dieser bleiche, tote Knochenwald. Bäume wie schwarze Arme, die mit knochigen Fingern nach dem Himmel griffen und tiefe Wunden hineinrissen, und Erde, auf der niemals etwas anderes als giftige Pilze gelebt hatte. Katrin war noch immer so schön wie vor Augenblicken, und die Verlockung, die von ihr ausging, noch immer genauso mächtig. Und doch war es der Anblick ihres nackten Körpers, die Erinnerung an jene ekstatischen, unendlich süßen Augenblicke vor siebzehn Jahren, die den Zauber zerspringen ließen, denn sie brachten auch die Erinnerung an einen ungeheuerlichen Preis mit sich, den er bezahlt hatte.
Katrin blickte ihn fragend an. »Was hast du?« fragte sie.
Tobias schwieg.
Er war ihr so nahe wie kaum einem Menschen zuvor in seinem Leben, spürte ihre Nähe, ihre Wärme, ihren Geruch und die Verlockung, die von ihr ausging. Und die entsetzliche Gefahr, die sich hinter dieser Verlockung verbarg.
»Was hast du?« fragte Katrin noch einmal. In ihrer
Stimme war ein fremder Ton, kein Mißtrauen, kein Vorwurf, aber doch etwas, das ihn schaudern ließ.
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Plötzlich wurde ihm bewußt, wo sie überhaupt waren: Nicht nur auf dieser verfluchten Lichtung, sondern genau im Herzen des Hexenkreises, im Zentrum der sieben oder acht konzentrischen Ringe auf todbringenden, weißen Pilzen, die alles andere Leben von dieser Lichtung getilgt hatten. Seine Augen weiteten sich vor Furcht. Er löste sich vollends aus Katrins Umarmung und richtete sich auf. Sie war ihm immer noch so nah, daß er ihre Wärme spüren konnte, aber vielleicht lag das eher daran, daß er plötzlich die Kälte der Nacht wieder fühlte, die widerwärtige Berührung des schwarzen, verdorbenen Bodens spürte und das unheimliche Geräusch hörte, mit dem der Wind durch die Kronen dieses Alptraumwaldes fuhr.
»Ich . . . kann es nicht«, stammelte er.
Auch Katrin richtete sich auf. Sie lächelte noch immer, aber eine kaum wahrnehmbare Kälte hatte sich in ihre Augen geschlichen. Was Tobias in den Augen des Geschöpfes las, das wie Katrin aussah und es doch nicht sein konnte, das war eine Erkenntnis, die tiefer ging als alles, was er je zuvor erfahren hatte. Das Begreifen, daß es etwas Schlimmeres gab als die Mächte der Hölle: die Kälte, denn der Teufel war zumindest noch fähig, Haß zu
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