Wolfgang Hohlbein -
Geräusch zu verursachen, ging er zur Tür, spähte hinaus und stellte mit einer Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung fest, daß Temser und das halbe Dutzend Knechte den Hof verlassen hatten.
Er zögerte nur noch einen Moment. Dann trat er ent-
schlossen aus dem Haus und blickte in die Richtung, in der die Männer verschwunden waren. Er glaubte, sie noch als Schatten in einiger Entfernung wahrzunehmen.
Eine Verfolgung zu Fuß hätte wenig Sinn gehabt. Aber er wußte ja, wo er Pferde finden konnte. Das Glück war auf seiner Seite. Die Stalltür war offen. Zwei Tiere standen aufgezäumt in ihren Verschlagen. Er führte das erste heraus und kletterte ungeschickt auf seinen Rücken, dann sah er sich noch einmal sichernd nach allen Seiten um und ritt davon.
322
Die Nacht war sehr dunkel. Seine Hoffnung, eine Spur zu finden, der er folgen konnte, zerschlug sich schon nach wenigen Augenblicken. Es hatte seit Wochen nicht geregnet, so daß der Boden hart und ausgetrocknet war und keine Fährte aufwies, die er erkennen konnte. Obwohl er nicht wußte, wie sehr Temser und seine Knechte ihm enteilt waren, wagte er es nicht, das Pferd zu einer schnelleren Gangart als einem leichten Trab anzutreiben. Zum einen war er kein geübter Reiter, zum anderen hätte ein Galopp einen Lärm verursacht, der in der Stille der nahezu mondlosen Nacht meilenweit zu hören gewesen wäre.
So schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, daß der Herr ihn auf die richtige Spur lenken mochte, und überließ es dem Pferd, seinen Weg zu finden.
Es wurde immer dunkler. Der Himmel bezog sich mit
schweren, bauchigen Wolken. Die Luft roch nach Regen, und einmal glaubte er, ein fernes Grollen zu hören.
Obwohl die Wolkendecke fast jedes bißchen Licht verschluckte, glaubte er, sich wieder zurück in Richtung Buchenfeld zu bewegen. Er hatte immer noch nicht die leiseste Ahnung, warum, aber er war sicher, daß Temser ihn aus der Stadt weggelockt hatte.
Plötzlich stieg wieder die Angst in ihm auf. Tobias ahnte, daß alles, was er bisher erlebt hatte, nur Teil eines großen, düsteren Geheimnisses war, in das er immer tiefer eindrang, ohne es indes zu erkennen. Aber was, dachte er entsetzt, wenn sie wirklich unterwegs zurück nach Buchenfeld waren, nach Buchenfeld - und zu ihr?
Die Furcht um Katrin ließ ihn die Angst um sein eigenes Leben vergessen. Er ritt schneller, galoppierte schließlich so rasch dahin, wie er es wagen konnte, und näherte sich bald der Stadt. Er hatte Buchenfeld bisher nie anders als still und vom Leben verlassen gesehen, aber nun war zumindest ein Teil der Stadt hell erleuchtet. Über den unregelmäßigen Erdwall drang das flackernde, rotgelbe Licht einer großen Anzahl brennender Fackeln, und mit dem Wind wehte ein Chor dumpfer Stimmen heran. Es war kein Gesang, wie er im allerersten Moment glaubte, sondern nur ein Summen.
323
Keine Worte, nur Laute. Was um alles in der Welt ging in dieser Stadt vor?
Obwohl Neugier und Furcht mittlerweile fast übermächtig geworden waren, ließ Tobias das Pferd wieder in eine langsamere Gangart zurückfallen. Und seine Vorsicht erwies sich als begründet. Nach nur wenigen Minuten machte er ein paar verschwommene Schatten vor sich in der Dunkelheit aus. In das unheimliche Summen der Menschenmenge
mischte sich das Geräusch hämmernder Pferdehufe. Er hörte das Kläffen eines Hundes und eine scharfe Stimme, die ihn zur Ruhe gemahnte. Es waren Temser und die Knechte.
Tobias ritt noch langsamer, hielt schließlich ganz an und sah sich unschlüssig um. Alles sah so verändert aus. Er konnte Buchenfeld erkennen, aber nur, weil der Himmel über der Stadt im roten Widerschein der Fackeln glühte.
Er lenkte sein Pferd nach links und ritt quer über eines der abgeernteten Felder, so rasch es die Dunkelheit erlaubte.
Temser und seine Knechte gerieten wieder außer Sicht, als er die Stadt in weitem Bogen umging und sich ihr von der entgegengesetzten Seite näherte.
Obwohl er sehr schnell ritt, war ihm klar, daß er Buchenfeld erst nach dem Bauern und seinen Begleitern erreichen würde. Gute zwanzig Schritte vor dem Erdwall, der die Stelle einer Stadtmauer rings um Buchenfeld einnahm, zügelte er sein Pferd, stieg ab und lief geduckt weiter. Es bereitete ihm keine Mühe, den Wall zu erklimmen, aber sein Herz hämmerte vor Aufregung so wild, als wolle es in seiner Brust zerspringen. Für einen Moment mußte er sich gegen die absurde Vorstellung wehren, daß das Geräusch wie dröhnender
Weitere Kostenlose Bücher