Wolfgang Hohlbein -
und still da, nirgends war ein Licht zu sehen, und das einzige Geräusch war das leise Klirren der Kette, mit der Temser den Hund festgemacht hatte.
Für die nächste gute Stunde änderte sich an dem Bild nichts. Tobias sah mehrmals in den Himmel hinauf, aber das Fenster lag so ungünstig, daß er weder den Mond noch ein bekanntes Sternbild erkennen konnte. Er schätzte, daß es noch eine Stunde bis Mitternacht sein mußte, als er im Haus wieder Geräusche vernahm. Gedämpfte, tappende Schritte; Stimmen, die sich in einem hastigen Flüsterton unterhielten; das mehrmalige Klappen einer Tür. Schließlich vorsichtige, schleichende Schritte, die den Gang hinaufkamen. Tobias ging rasch zum Bett zurück, legte sich darauf und widerstand im letzten Moment der Versuchung, sich die Decke überzuziehen. Er schloß einfach die Augen, ließ den Kopf auf die Seite fallen und atmete möglichst flach.
Er hörte, wie die Tür zu seiner Kammer ganz leise geöffnet und nur einen Spaltbreit aufgeschoben wurde. Er wagte es nicht, die Augen zu öffnen, aber er wußte, daß es Temser 320
war, der gekommen war und sich davon überzeugte, daß er auch wirklich schlief. Und seine kleine Täuschung schien Erfolg zu haben: Er lag in der gleichen Haltung da, in der er sich auf das Bett hatte sinken lassen, als Temser ging, so, als wäre er im selben Augenblick eingeschlafen, ohne auch noch die Kraft zu haben, sich zuzudecken.
Nach einigen Augenblicken wurde die Tür wieder
geschlossen, und Temsers Schritte entfernten sich. Tobias wartete noch eine Zeitlang ab, stand dann auf und schlich wieder zum Fenster. Diesmal achtete er sorgsam darauf, so dazustehen, daß sich sein Körper nicht vor dem flackernden Kerzenschein als Schatten abhob.
Seine Geduld wurde auf keine besonders harte Probe
gestellt. Es vergingen nur wenige Augenblicke, ehe unten im Haus wieder die Tür fiel, und dann erschien die Gestalt Temsers unter ihm auf dem Hof.
Er war nicht allein. Vier oder fünf Männer des Gesindes folgten ihm dichtauf, und von der anderen Seite des Hofes her näherten sich zwei weitere Knechte, die ein halbes Dutzend bereits gesattelter Pferde an den Zügeln hinter sich herführten. Während die Männer aufsaßen, machte Temser noch einmal kehrt, ging zu dem angeketteten Hund zurück und band ihn los. Das Tier sprang mit einem aufgeregten Bellen an seinem Herrn hoch, und Temser streichelte hastig seinen Kopf, um es zur Ruhe zu bringen. Dann blickte er zu dem Fenster hinauf, hinter dem er Tobias schlafend wähnte.
Tobias preßte sich neben dem Fenster gegen die Wand und hielt instinktiv den Atem an. Er wußte, daß Temser ihn nicht sehen konnte, und trotzdem hatte er das verrückte Gefühl, die Blicke des Bauern wie eine körperliche Berührung zu spüren. Sein Herz begann zu hämmern, und sein Atem ging schneller.
Er wartete, bis er ganz sicher war, daß Temser nicht mehr zu ihm hochblickte, ehe er es wagte, wieder aus dem Fenster zu sehen. Mit Ausnahme des Bauern selbst waren mittlerweile alle Männer aufgesessen. Temser schien Mühe zu haben, auf den Rücken seines Pferdes zu steigen. Seine Bewegungen waren unsicher. Er griff mehrmals daneben, als 321
er nach dem Zügel langte, und sich in den Sattel zu ziehen schien ihn jedes bißchen Kraft zu kosten. Tobias erinnerte sich gut daran, wie schwer es ihm selbst gefallen war, die Wirkung des Schlafpulvers zu überwinden und auch nur einen einzigen Schritt zu machen. Nach dem Elan, den Temser während des Tages mehr als einmal demonstriert hatte, war seine jetzige Ungeschicklichkeit der letzte Beweis: Er litt unter den Nachwirkungen des gleichen Pulvers, das auch Theowulf ihm in den Becher getan hatte.
Tobias vergeudete eine weitere, kostbare Minute damit, zornig zu sein, ehe ihm klar wurde, daß die Reiter in den nächsten Augenblicken den Hof verlassen und davonreiten würden. Er hatte nicht mehr viel Zeit.
Rasch ging er zur Tür, öffnete sie, so leise er konnte, und lauschte einen Moment lang mit geschlossenen Augen in den Flur hinaus. Nichts. Das Haus war vollkommen still. Offensichtlich schliefen alle, die den Bauern nicht auf seinem nächtlichen Ritt begleiteten.
Trotzdem schlich Tobias auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und die Treppe hinab, und als er auf eine Stufe trat, die unter seinem Gewicht hörbar knarrte, da blieb er einen Moment mit klopfendem Herzen stehen und lauschte
gebannt. Aber er hörte auch jetzt keinen Laut. So schnell er konnte, ohne dabei ein verräterisches
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