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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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Trommelschlag überall in der Stadt zu hören sein mußte.
    Die letzten Meter legte er auf Händen und Knien kriechend zurück und preßte sich, schließlich auf der Krone des Erdhügels angekommen, fest gegen den Boden.
    Tobias konnte nichts sehen, außer den Schatten der ärmlichen Hütten Buchenfelds. Der Feuerschein im Herzen der Stadt tauchte den Himmel über ihm in die Farbe geronnenen Blutes, und das dumpfe, an- und abschwellende Dröhnen 324
    der Stimmen zwang nun allmählich auch seinen eigenen Herzschlag in einen abgehackten, hämmernden Rhythmus.
    Einige Augenblicke lang lag er einfach da, lauschte und fragte sich vergeblich, was er nun tun sollte. Er war hilflos.
    Er hatte keinerlei Erfahrung in solcherlei Dingen - schließ-
    lich war es nicht seine Aufgabe, sich nachts in eine von Dämonen besetzte Stadt einzuschleichen. Der Gesang -
    obwohl er zweifelsfrei aus menschlichen Kehlen stammte -
    klang wie eine Musik der Hölle. Sein Rhythmus, dumpf und monoton und aufpeitschend zugleich, schien direkt aus Luzifers Reich zu kommen. Und die Worte, die keine Worte waren, ließen ihn an heidnische Rituale denken. Er fühlte sich in seinen Traum zurückversetzt, in dem er Katrin auf der Waldlichtung begegnet war, und für einen kurzen Augenblick hatte er jetzt wieder das gleiche Gefühl wie damals: sich in einem Bereich der Schöpfung zu befinden, in dem die Zeit und die Gesetze der Natur und der Menschen keine Gültigkeit mehr hatten. Er hatte Angst. Er war fast wahnsinnig vor Angst. Und doch hatte er gar keine andere Wahl, als sich diesem höllischen Licht im Herzen der Stadt zu nähern. Er wußte jetzt, daß sie sich hier versammelt hatten, um Katrin zu töten. Diese nächtliche Prozession konnte keinen anderen Zweck haben.
    Gerade als Tobias all seinen Mut zusammengenommen
    hatte, um sich zu erheben, änderte sich etwas im Klang der monotonen Stimmen; zugleich verströmten auch die Fackeln ein anderes Licht. Sie brannten jetzt nicht mehr ruhig, sondern loderten stärker, als sich die Männer, die sie hielten, wie auf ein geheimes Kommando hin in Bewegung setzten.
    War er zu spät gekommen? Hatten sie Katrin bereits aus dem Turm herausgeholt? Brannte der Scheiterhaufen schon, auf dem sie geopfert werden sollte?
    Tausend schreckliche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, während er, gelähmt vor Entsetzen und Angst, voranschritt und endlich das Tor erreichte. Er war zu weit von der Hauptstraße entfernt, um mehr als eine verschwommene Masse aus dunklen Körpern und brennenden, funkensprü-
    henden Fackeln zu erkennen.
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    Während die Prozession langsam und in sicherer Entfernung an Tobias vorüberzog, versuchte er, sich verzweifelt darüber klarzuwerden, was er tun sollte. Er mußte sich Klarheit über Katrins Schicksal verschaffen, aber das hätte bedeutet, die Stadt zu durchqueren und zum Turm zurückzugehen. Andererseits wäre genau das völlig sinnlos.
    Obwohl er körperliche Gewalt verabscheute und fürchtete, traute er sich durchaus zu, es mit einem Mann aufzuneh-men, wenn er um sein oder um Katrins Leben kämpfen
    mußte. Aber gegen diese Menschenmenge hatte er keine Chance.
    Pater Tobias begriff mit einer Mischung aus Hysterie und Entsetzen, worüber er da nachdachte. Heiliger Dominikus, wie weit war es mit ihm gekommen, daß er anfing, solche Gedanken zu hegen? Was geschah mit ihm, daß er vor körperlicher Gewalt nur zurückschreckte, weil er sich des Umstandes bewußt war, daß er den Kampf verlieren würde?
    Dann wandte er den Blick - und er sah etwas, das ihn für einen Moment sogar Katrin vergessen ließ.
    Zwischen den Bäumen des Haines im Norden war wieder dieses unheimlich grüne Flackern entstanden. Für einen kurzen Moment konnte er vor diesem Licht die Umrisse eines Dutzends Reiter erkennen, das sich im gestreckten Galopp der Stadt näherte. Dunkle, geduckte Gestalten mit wehen-den schwarzen Mänteln und bleichen Gesichtern.
    Knochengesichtern.
    Pater Tobias' Herz machte einen zweiten, entsetzten Sprung, als er den Kopf in die entgegengesetzte Richtung wandte und sah, daß die Prozession sich nun direkt auf ihn zubewegte. Wenn er das Tempo der Knochenreiter richtig einschätzte und die viel langsamere Bewegung der singenden Menge berechnete, dann mußten sie fast unmittelbar vor ihm zusammentreffen!
    Verzweifelt sah er sich nach einem Versteck um. Es gab keines. Also kroch er über den Erdwall hinweg, preßte sich auf seiner anderen Seite gegen den Boden und lauschte einen Moment lang

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