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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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mit geschlossenen Augen auf das dumpfe
    Dröhnen der näherkommenden Pferde, das Summen der
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    Menge, das leiser, gleichzeitig aber noch unheimlicher und bedrohlicher geworden war, und das rasende Hämmern seines eigenen Herzens. Der rote Feuerschein überschüttete nun auch den Teil des Walles, auf dem er sich verbarg, mit seinem Licht.
    Die Prozession machte tatsächlich fast unmittelbar unter seinem Versteck halt. Die Männer, die die Fackeln trugen, bildeten einen Halbkreis, ein sonderbares Muster aus glim-menden, roten Teufelsaugen, dessen Bedeutung er nicht verstand, das ihn aber wie der monotone Singsang erschaudern ließ.
    Allmählich kamen die Reiter vom Wald her näher. Tobias befand sich in einem sonderbaren Zustand zwischen morbi-der Faszination und panischer Angst. Seine Furcht hatte einen Punkt erreicht und überschritten, der sie schon wieder unwirklich erscheinen ließ. Vielleicht war er auch verrückt, dachte er hysterisch. Vielleicht träumte er das alles nur.
    Oder er lag noch immer in Bressers Schlafzimmer und rang mit dem Tod, und dies war nur eine weitere böse Vision, mit der ihn sein fiebergeplagter Geist peinigte.
    Sein Blick tastete unstet über die Masse dicht bei dicht stehender Körper. Er erkannte ein paar Gesichter: Temser, seine Knechte, Bresser - selbst Maria stand inmitten dieser fürchterlichen Prozession; Katrin aber entdeckte er nirgendwo.
    Die Reiter waren nun bereits nahe genug, daß Tobias sie zweifelsfrei als die gleichen, knochengesichtigen Gestalten erkennen konnte, die er in jener Nacht am Fluß gesehen hatte, als sie Jagd auf Derwalt machten. Ihre Totenköpfe schienen ihm spöttisch zuzugrinsen, und als sie in den flackernden Kreis blutroter Helligkeit eintauchten, den die Fackeln in die Nacht brannten, da sah er, daß ihre Gesichter und die dünnen Skeletthände in einem unheimlichen, grünlich-blauen Licht schimmerten, als strahlten sie unter einem unheimlichen, inneren Glanz; demselben, kalten Feuer, das auch der See im Wald verbreitete.
    Tobias schob sich weiter vor und den Hang hinab, bis seine zitternden Hände fast in den roten Lichtschein gerieten. Er war sich der Tatsache vollkommen bewußt, daß er 327
    mehr als leichtsinnig handelte. Eine einzige, unbedachte Bewegung, ein unvorsichtiger Laut oder auch nur ein zufälliger Blick eines der Männer und Frauen dort unten, und er war verloren. Aber das alles spielte keine Rolle mehr. Er war nahe daran, das düstere Geheimnis zu lüften, das Buchenfeld und seine Einwohner umgab.
    Die Reiter hielten. Nur einer von ihnen ritt noch ein Stück vor, bis er sich der Mauer aus Männern und Frauen auf weniger als einen Steinwurf genähert hatte. Dann zügelte auch er sein Tier und richtete sich im Sattel auf. Gleichzeitig hob er die Hand zu einer befehlenden Geste. Er sagte nichts, aber einer nach dem anderen sanken die Teilnehmer der Prozession auf die Knie; nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, so daß eine schwerfällige, gleitende Wellenbewegung durch die Menschenmenge zu laufen schien, an deren Ende sie alle mit gesenkten Häuptern auf den Knien lagen. Es war ein unheimlicher Anblick, aber einer, der trotz des Schreckens, mit dem er Tobias erfüllte, eine gewisse Faszination ausstrahlte. Er konnte die Macht, die die Gestalt mit dem Totenkopfgesicht über diese Menschenmenge hatte, beinahe anfassen, so intensiv fühlte er sie.
    Eine ganze Weile geschah gar nichts. Der Knochenreiter ließ den Blick seiner unheimlichen, leeren Augen über die Menge gleiten, als weide er sich am Anblick der demütig gesenkten Häupter - oder als zöge er Kraft aus ihm. Die Furcht, die die Gestalt mit dem unheimlichen Knochengesicht verbreitete, weckte etwas in diesen Menschen, etwas, das sie wiederum in sich aufnahmen; ein Strom unsichtbarer, pulsierender Energie, der von der knienden Menge in den einzelnen Reiter hinüberfloß und seine Macht und den Terror, den er verbreitete, noch stärkte.
    Der Knochenreiter schien sich an der Furcht der Menschen zu laben, er trank sie, wie ein düsterer, menschengro-
    ßer Vampir das Blut seiner Opfer. Dann, nach einer Ewigkeit, wie es Tobias schien, senkte er die Hand wieder, und die Häupter hoben sich. Die Betenden (obwohl ihm allein diese Formulierung wie Gotteslästerung erschien, fand Tobias kein anderes Wort für das, was er sah) erhoben sich 328
    nicht, aber sie wagten zumindest ihren düsteren Herrn anzublicken. Tobias konnte den Ausdruck auf einigen Gesichtern erkennen: Es war nicht nur

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